„Verbot des Islam“ – Nicht hinnehmbare ungeheuerliche Entgleisung

Über ein Verbot des Islam als solchem in Europa denkt Wolfgang Fellner in der Gratiszeitung „Österreich“ nach. Damit greift er das zentrale Menschenrecht der Religionsfreiheit offen an. Daher stellt seine Aussage eine Ungeheuerlichkeit dar und darf nicht stillschweigend übergangen werden.

Stellungnahme

Die Islamische Glaubensgemeinschaft bekundet ihre Trauer, Betroffenheit und ihr Mitgefühl mit den Opfern der Anschlagsserie von Brüssel.

Muslime und Muttertag (Arabisch)

المسلمون و عيد الأم،

 

Buchbeitrag von Tarafa Baghajati, aus dem Archiv 2006

Aus dem Archiv:

Buchbeitrag von Tarafa Baghajati

 

Die Integration und Beteiligung der Muslime und Musliminnen in der Gesellschaft (Grazer Universitätsverlag)

Kampf der Kulturen: Projektion, Propaganda oder unausweichliches Schicksal?

Einige Gedanken aus muslimischer Sicht

Link zum Buch: http://www.amazon.de/Der-Islam-%C3%96sterreich-Europa-Universit%C3%A4tsverlag/dp/3701102023

 

Hier eine Leseprobe:

Vortrag von DI Tarafa Baghajati, gehalten am 6. April 2006

im Rahmen der Vortragsreihe Islam in Österreich und in Europa

an der Karl-Franzens-Universität in Graz

 

Anm.: Das Referat wurde frei gehalten. Aus dem Gedächntnis und anhand von stichwortartigen handschriftlichen Notizen, die beim Vortrag Verwendung fanden, hat der Autor versucht die Rede zu rekonstruieren und zu verschriftlichen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Meinen herzlichen Dank an die Veranstalter für die Einladung. Ich freue mich immer wieder in Graz referieren zu dürfen. Mit dieser Stadt verbinde ich zwei erfolgreiche Veranstaltungen, die für mich von großer Bedeutung sind und die ich daher auch in bester Erinnerung behalten habe. In Graz fand die erste Europäische Imame-Konferenz und die Internationale Interreligiöse Konferenz statt; beides im Jahr 2003 als Graz Kulturhauptstadt war. Es war eine Ehre und Freude bei beiden Konferenzen mitwirken zu dürfen, genauso wie es eine Ehre und Freude ist heute vor Ihnen zu stehen.

Erlauben Sie mir mit einem Koranzitat meinen Vortrag zu beginnen:

„O ihr Menschen! Wir erschufen euch aus Mann und Frau und machten euch zu Völkern und Stämmen, damit ihr einander kennenlernt. Doch der von Gott am meisten Geehrte von euch ist der Gerechteste (bzw. Gottesfürchtigste, Anm.) unter euch. Gott ist fürwahr wissend, kundig.“ (49:13)

In diesem Beispielvers wird das koranische Verständnis deutlich, dass die Kulturen dieser Welt sich kennenlernen und bereichern sollen. Die Idee vom „Kampf der Kulturen“ widerspricht der koranischen Vorstellung, dass allen Kulturen mit Respekt begegnet werden muss. Im Mittelpunkt der muslimischen Auffassung steht die Gleichheit aller Menschen. In der berühmten Abschiedsrede des Propheten Muhammad - sie ist so etwas wie sein Testament - hat er diesen Grundsatz noch einmal betont:

 „[…] O ihr Menschen! Euer Herr und Erhalter ist Einer, und euer Urahn ist einer. Ihr alle stammt von Adam ab, und Adam wurde aus Erde erschaffen. Und daher gibt es keine Überlegenheit von einem Araber über einen Nicht-Araber oder von einem Nicht-Araber über einen Araber, und auch nicht von einem Weißen über einen Schwarzen oder von einem Schwarzen über einen Weißen. […]“

Unsere Art zu Denken und zu Handeln ist zu einem guten Teil kulturell determiniert. Die unterschiedlichen Sichtweisen in unterschiedlichen Regionen dieser Erde bergen natürlich Konfliktpotential. Es stellt sich die Frage, ob es einen universellen Maßstab gibt, mit Hilfe dessen wir kulturelle Eigenheiten bewerten können? Worauf können wir uns alle einigen? Bevor es uns gelingen kann, diese Frage zu beantworten, sollten wir uns zuerst einmal damit auseinandersetzen, wie die eine Kultur die andere sieht. Gerade die Beziehungen zwischen Okzident und Orient, Ost und West, sind geprägt von Klischees und Vorurteilen, die über Jahrhunderte entstanden sind. Und genau diese Klischees sind es, die uns behindern.

Anders als von den Proponenten der These vom „Kampf der Kulturen“ suggeriert, sind Kulturen keine monolithischen Blöcke, die für sich alleine stehen. Es gab und gibt stets Kontakte und einen Austausch untereinander. Nicht alle Lebensbereiche sind in diesem Austausch konfliktbeladen. Konflikte ergeben sich heute insbesondere bei Fragen der Moral, des politischen Systems, des Familienbilds, der Menschenrechte, der Pflichten und Freiheiten des Individuums, etc. Wenn es um (natur-)wissenschaftliche Erkenntnisse, wirtschaftliche Interessen und Handel oder um Kulinarik geht, sind kaum Widersprüche festzustellen. Sowohl Konflikte als auch Einverständnis herrscht bei Fragen wie Gentechnik, Atomkraft, Klonen, Kunst, Tierschutz, Organtransplantation, Zins, usw.

Um die Probleme, die aus unterschiedlichen Lebenswelten resultieren können, zu veranschaulichen, möchte ich ihnen etwas über die Bekleidungssitten in meiner ursprünglichen Heimatstadt Damaskus /Syrien erzählen.

Als die Männerhose eingeführt wurde, hat es ein Buch eines Theologen gegeben, der dutzende Begründungen aufzuzählen wusste, warum die Hose haram (d.h. islamisch verboten) sei. Als Fernsehen und Kino Einzug gehalten haben, war es fast Konsens zwischen den Gelehrten, dass beides islamisch abzulehnen wäre. Das Kino wurde in etlichen Publikationen als „Tisch des Teufels“ bezeichnet. Die ersten Männer, die den Tarbusch, die traditionelle Kopfbedeckung aus rotem Filz - der Filz stammte übrigens aus Österreich und daher nannte man die Kopfbedeckung auch Tarbusch Nimsawi, österreichischer Tarbusch - abgenommen haben, wurden von kleinen Kindern mit Steinen beworfen und auch von so manchem Erwachsenen beschimpft. Insbesondere in besonders traditionellen Regionen wie der Stadt Hama. Für meine Großmutter war es undenkbar, ihr Gesicht in der Öffentlichkeit zu zeigen. Selbst ein Augenschlitz war ein Tabu. Die Frauen mussten ein doppeltes schwarzes Tuch über dem Gesicht tragen, durch das das Sehen erschwert wurde. Die ersten Frauen, die einen einfachen statt eines doppelten Stoffs verwendeten, wurden schräg angeschaut. Diese Gewohnheiten waren in ländlichen Regionen Syriens wiederum nicht anzutreffen. Am Land und bei den Beduinen war das kein Thema, denn die Frauen arbeiteten, beispielsweise am Feld, und trugen daher stets nur ein einfaches Kopftuch, das das Gesicht freiließ. Sieht man diese Bekleidungssitten mit einem westlichen europäischem Auge, dann wird deutlich, dass hier selbstverständlich Konflikte entstehen können. Das gilt allerdings auch vice versa. Viele unserer Gewohnheiten hier im Westen sind für viele Menschen im Orient unbegreiflich. Auch dazu ein Beispiel: Ich war verblüfft, als ich während eines sommerlichen Besuchs in Syrien bei einer Freitagspredigt eines höchst angesehenen Imams in Damaskus hörte, wie er die schlimme Situation europäischer Kinder beklagte. Worauf führte er dies zurück? Auf  Papiere der Europäischen Kommission, in denen festgehalten wird, dass circa die Hälfte der gezeugten Kinder in Westeuropa unehelich sind. Kopfschütteln und Entsetzen bei den Betenden. Die armen Kinder. In der Region wird ein uneheliches Kind in erster Linie mit einer ungewollten Schwangerschaft assoziiert, wie etwa bei einer Vergewaltigung oder durch Prostitution. In Europa hingegen heißt es großteils nicht viel mehr, als dass das Elternpaar es vorgezogen hat, nicht zu heiraten.

Für Europäer wirkt es zumeist völlig abseitig, dass in orientalischen Ländern oftmals die Institution der Demokratie in Frage gestellt wird. Und das nicht von irgendwelchen Leuten, die sich an den politischen Rändern befinden, sondern oft von anerkannten Theologen und Intellektuellen. Das Problem liegt darin, dass Demokratie gleichgesetzt wird mit Verwestlichung. Wer im Orient Demokratie einführen will, so glauben viele, muss unbedingt automatisch die westliche Lebensweise kritiklos und ohne Abstriche übernehmen. Auch bei einer Freitagspredigt eines anderen anerkannten Gelehrten in Damaskus wurde im Vergleich zwischen westlicher Demokratie und islamischer Schura einzig die Schura als positiv bewertet. Der Scheikh meinte pauschal, dass die Demokratie für die hiesigen Gesellschaften schädlich sei. Meine Freunde, allesamt gebildete Akademiker, fragten mich erwartungsvoll, was ich von dem Vortrag „ihres“ respektierten Gelehrten halte und waren wenig begeistert, als ich ihm widersprach. Es entspann sich eine heftige Diskussion. Ich versuchte sie von den Vorteilen eines demokratischen Systems zu überzeugen, die ja kulturübergreifend sind. Daher betonte ich, dass es bei Demokratie um einen Mechanismus gehe. Die Kontrolleinrichtungen in einer Demokratie bedeuten für den Bürger ungeheure Vorteile. Wenn eine Partei bei den Wahlen verliert, ist entweder ihre Politik falsch oder die Menschen lehnen sie ab. Die Oppositionsparteien, die freien Medien und Institutionen wie der Rechnungshof beaufsichtigen und begrenzen die politische Macht. Korruption ist  schließlich kein kulturelles, sondern ein politisches Problem. Die Neigung sich auf Kosten anderer zu bereichern ist allen Gesellschaften bekannt. Ich wüsste nicht, wohin das Bruttoinlandsprodukt Österreichs verschwinden würde, wenn wir diese Kontrolle bei uns nicht hätten.

Die jahrzehntelange Einschränkung der Meinungsfreiheit durch autoritäre Regime hat ihre Spuren in den Köpfen der Menschen hinterlassen. Es mag verwunderlich sein und es ist zweifellos von einer gewissen Absurdität, aber das Recht auf freie Meinungsäußerung ist in arabischen und anderen Ländern mit islamischer Mehrheitsbevölkerung auch unter kritischen Intellektuellen und Theologen umstritten. Auch hier eine kleine persönliche Geschichte dazu: Ich hatte eine Diskussion darüber mit einem mir bekannten Gelehrten. Er vertrat die Ansicht, dass eine unabhängige Kommission notwendig wäre, die darüber zu urteilen habe, welche Bücher und Texte für die Gesellschaft schädlich seien und welche nicht. Doch wer ist derart „unabhängig“, dass er darüber frei entscheiden könnte? Und wo bleibt die Mündigkeit des Menschen? Menschen, die unter kolonialen Regimen gelitten haben, neigen oftmals dazu, sich selbst zu unterschätzen. Sich selbst, das Volk, für unreif und „primitiv“ zu halten, zu keinen eigenen Entscheidungen fähig. Der Witz an der Sache ist, dass der Gelehrte, mit dem ich den Disput hatte, wohl einer der ersten sein würde, die unter einer solchen „unabhängigen Kommission“ zu leiden hätten, ist er doch ansonsten als Freigeist bekannt.

In Europa gewinnt man oft den Eindruck, als wäre der Nationalstaat ein natürliches Ordnungsprinzip. Dabei ist er ein relativ junges historisches Phänomen. Noch jünger und von außen durch die Kolonialmächte geschaffen ist der Nationalstaat im Süden. Loyalität galt im arabischen Raum zuvor dem Stamm oder der Religionsgemeinschaft. Die unausgereiften, teilweise mit dem Lineal auf der Landkarte gezogenen Staatskonstruktionen waren in den ersten Jahren nach ihrer Installation durchaus erfolgreich. Aber nach Militärputschs und ähnlichen Umwälzungen hat die kurze Erfolgsstory sogleich ihr Ende gefunden. Zwar berufen sich einige Länder wie meine Heimat Syrien auf den Republikanismus, aber alleine die Tatsache, dass der Sohn des Präsidenten oder ein anderer naher Verwandter die Macht erbt, steht im krassen Widerspruch dazu. Strömungen wie der (antikoloniale) Nationalismus und Panarabismus sind tendenziell auch zu Ende gegangen. Das Vertrauen in den Staat ist begrenzt und die Rückbesinnung auf die Religion im Steigen begriffen. Ein Gemeinschaftsmodell nach Vorbild der Europäischen Union für die islamischen Länder brächte bedeutende Vorteile. Allerdings ist die Frage, ob die Instabilität der Regime, die ökonomische und militärische Abhängigkeit vom Westen und Rivalitäten dem nicht im Wege stehen werden. 

Wege aus dem Kulturkonflikt

Eine Grundlage dafür, der scheinbaren Logik des Kulturkonflikts zu entkommen, liegt darin, kulturelle Eigenheiten als solche zu erkennen, vorgefertigte Ansichten über den jeweils anderen zu hinterfragen und nicht zuletzt in der Fähigkeit zur Selbstkritik. Nur wer sich seiner selbst nicht sicher ist, sieht sich darin genötigt, sich abzugrenzen und in Opposition zum anderen zu setzen.

Auch islamische Religionsgelehrte tragen hierbei eine wichtige Verantwortung. Es gilt theologischen Mut zu beweisen und die eigene Geschichte kritisch zu betrachten. Die religiösen (Sekundär-)quellen bedürfen einer historischen Interpretation, um zeitgemäße Antworten zu finden. Und es gilt dabei einen nüchternen und realistischen Blick auf sich selbst zu wagen. Das was IST, muß zunächst einmal akzeptiert werden, bevor ein was SOLL greifen kann. Islamische Regeln und lokale Traditionen haben sich oftmals derart vermengt, dass die meisten Menschen sie nicht mehr unterscheiden können. Dabei gilt es manche lokale Tradition abzulehnen, da sie gegen islamische Prinzipien verstoßen und/oder menschenfeindlich sind. 

In Sachen Kulturkonflikt kommt insbesondere europäischen Muslimen eine sehr wichtige Rolle zu. Sie sind in der Lage kulturvermittelnd einzugreifen. Sie können aus der eigenen Situation heraus oftmals deutlicher zwischen dem Islam und den Traditionen unterscheiden, weil sie in einer nicht-muslimischen Umgebung sozialisiert werden. Sie können und müssen gegen Islamfeindlichkeit, Rassismus und jegliche Diskriminierung auftreten und den Vorurteilen auf allen Seiten begegnen. In Europa ist ein Bedarf nach neuen Fatwas, islamischen Rechtsgutachten, aufgetreten. Fatwas sind abhängig von Zeit, Ort und betroffenen Menschen und da die Muslime in Europa mit neuen, oftmals bis dato unbekannten Problemen konfrontiert wurden, haben sich hier neue Interpretationen ergeben, ein Denken das Orient und Okzident miteinander zu verbinden weiß. Es ist notwendig, die europäischen Muslime hierbei zu unterstützen, es sollte ihnen sowohl innerhalb des islamischen Diskurses als auch im Westen der Rücken gestärkt werden. Und zugleich müssen die Muslime Europas ihre neue Rolle verstärkt wahrnehmen. Zumeist sind sie aus den Kolonien oder als billige Arbeitskräfte hierher gekommen. Aber sie sind schon lange keine Gäste mehr. Die muslimischen Communities begreifen sich zunehmend als Teil der Gesellschaft. Zivilgesellschaftliche Engagement, die Arbeit mit etablierten Medien und die Schaffung eigener Medien, politische Aktivität, interreligiöser Dialog und die Debatte innerhalb der eigenen Glaubensgemeinschaft zählen zu den Grundaufgaben der Muslime im Westen. Hier gibt es auch noch viel zu tun. Dabei könnte nicht zuletzt auch eine Reflexion über den eigenen Umgang mit Kultur nicht nur über das Mittel des Diskurses in alle Richtungen, sondern über das Mittel künstlerischer Auseinandersetzung vielversprechend sein.

Tarafa Baghajati, Graz 06. April 2008, Wien 18.11.2008

Links zu weiteren Infos:

https://extrajournal.net/2011/01/24/grazer-volkerrechtler-wolfgang-benedek-schlagt-mit-neuem-buch-brucken-von-und-zu-muslimen/

http://www.studium.at/35079-vortragsreihe-der-uni-graz-wirkt-vorurteilen-gegenueber-musliminnen-entgegen

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Dipl.- Ing. Tarafa Baghajati
Vizepräsident von ENAR - European Network against Racism (2004-2007)
Obmann der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen
baghajati [at] aon.at,
Member of ENAR's Advisory Council of Eminent Experts
ENAR - European Network against Racism www.enar-eu.org/en/

 

Syrien: die Übergangsphase und die Frage der Verfassung: Arabisch

سوريا: المرحلة الإنتقالية و مسألة الدستور:

http://all4syria.info/Archive/300628

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Überschrift: 
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