Syrien: Wiener Zeitung mit Tarafa Baghajati
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Obmann der "Initiative muslimischer Österreicher" im Interview.
Von Stefan Beig
In Tunesien, Ägypten und Libyen führte der Arabische Frühling zum Sturz der Regime. In Syrien hält das Regime den Protesten stand. Ist der Widerstand an einen toten Punkt gekommen?
Der Arabische Frühling steht auch in Ägypten und Tunesien erst am Anfang. Diese Staaten müssen jetzt mit dem Aufbau von demokratischen Institutionen beginnen und brauchen eine neue Verfassung. Keine Freiheitsbewegung gelangt an einen toten Punkt, auch nicht die syrische. Alle, sogar das syrische Regime, geben zu, dass es kein Zurück mehr gibt. Die Frage ist: Wann und wie kann ein radikaler Wechsel zu Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit geschehen, und wie viele Opfer wird er fordern?
Könnte das Regime durch ein Massaker alle Hoffnungen zerstören?
Trotz der Zensur gelangen detaillierte Infos über Fotos, Videos und Tonaufnahmen an die Weltöffentlichkeit. Deswegen hoffe ich, dass das Regime kein Massaker anrichten wird. Es gibt bereits einzelne Deserteure und Ermüdungserscheinungen beim Militär. Der Befehl zu einem Massaker könnte zu einer Spaltung des Militärs führen. Übrigens ist nicht das gesamte syrische Militär in die Niederschlagung der Proteste involviert, sondern nur jener Teil, der dem Geheimdienst unterstellt ist..
Welche Optionen hat die Opposition noch?
Die Revolutionäre verlangen den Sturz des Regimes. Leider lässt ihnen das syrische Regime keinen anderen Spielraum. Es müsste die Unversehrtheit der Demonstranten gewährleisten, doch jeder weiß, dass Demonstranten verhaftet, verhört, gefoltert werden. Das Regime hat von einem freien Demonstrationsrecht geredet, aber ohne spürbares Ergebnis für die Bevölkerung. Das Regime müsste verstehen, dass eine Übergangsphase mit Zeitplan einen völligen Zusammenbruch verhindern würde. Doch es handelt nicht als Führung, sondern als Eigentümer, der sein Eigentum nicht aufgeben will.
Die Demonstranten könnten aber den Protest durch eine klare Botschaft an alle Gruppierungen Syriens noch erweitern. "Wir sind alle in einem Boot. Es wird keine Mehrheit gegen eine Minderheit geben", müsste sie lauten. Ohne die Gelehrten in Damaskus und die Geschäftsleute in Aleppo geht in Syrien gar nichts. Aber die engagieren sich noch nicht stark im Protest, weil sie ihre Privilegien nicht verlieren wollen und es keine Vision für die Zeit nach dem Regime gibt. Solange diese beiden Gruppen weitermachen, kann das Regime weiterbestehen.
Könnte ein Bürgerkrieg zwischen den Ethnien und Religionsgruppen Syriens ausbrechen?
Alle Gruppierungen – Sunniten, Alewiten, Christen, Drusen etc. – wollen Demokratie und Menschenrechte. Manche Minderheiten haben Angst, ein Systemwechsel könne auf ihre Kosten gehen wie im Irak. Deshalb muss es schon jetzt ein politisches Programm und Parteien mit Visionen geben. Ein politisches Programm könnte auch islamischen Hintergrund haben, müsste aber für alle offen sein und darf sich nicht in die Lebensweise und Religion des Einzelnen einmischen. Die jetzigen Parteien sind zerstritten und wegen der jahrzehntelangen Unfreiheit in der Bevölkerung nicht verankert. Die religiösen Lager sind völlig unpolitisch.
Müssen sich die als privilegiert geltenden Alewiten vor einem Ende des Regimes fürchten?
Nicht alle Alewiten sind privilegiert. Viele sind sogar wirtschaftlich benachteiligt und werden lediglich mit schlecht bezahlter Anstellung versorgt. Allerdings wird eine regimetreue Minderheit von ihnen politisch, wirtschaftlich und im Militär überprivilegiert. Alewiten sind Bürger Syriens wie alle anderen und daran wird nicht gerüttelt. Vor Freiheit und Rechtstaatlichkeit braucht sich niemand zu fürchten. Nicht zu vergessen ist, dass oppositionelle Alewiten im Gefängnis sitzen.
Was halten Sie von einem ausländischen Militäreinsatz wie in Libyen?
Er würde ein Hundertfaches an Opfern fordern. In Libyen waren die Garden Gaddafis und die Aufständischen geographisch getrennt. In Syrien ist das unmöglich. Weiters drohte Gaddafi mit einem Massaker in Benghazi und es gab ein glaubwürdiges Verlangen nach ausländischem Eingreifen im libyschen Volk. Nichts von all dem ist bisher in Syrien eingetreten. Vor allem aber muss der Arabische Frühling von allen Bevölkerungsschichten getragen werden. Bei einem militärischen Angriff besteht die Gefahr einer neuen Diktatur der Sieger. Selbst bei einem Erfolg ist Libyen kein Modell, sondern die Ausnahme. Ich befürworte ausländische Solidaritätsmaßnahmen.
Welche?
Solidaritätsbesuche bekannter Persönlichkeiten wären möglich. Der prominente Karikaturist Ali Ferzat, ein Freund meiner Familie, den ich persönlich kenne, wurde zusammengeschlagen. Andere Star-Karikaturisten oder Diplomaten könnten ihn besuchen. Der über die Grenzen Syriens bekannte Gelehrte Scheich Usama al-Rifai wurde geschlagen. Was spricht gegen einen Besuch einer Delegation aus dem Vatikan? Damit würde man unglaublichen Druck auf das syrische Regime ausüben, ohne sich in seine inneren Angelegenheiten einzumischen.
Sollte man den syrischen Botschafter ausweisen?
Jedenfalls sollte die syrische Botschaft laufend kontaktiert und befragt werden, um den Druck zu maximieren. Das Regime könnte man drängen, Reformen einzuleiten und Freiheiten zu zulassen.
Und Sanktionen?
Alles, was nicht die Bevölkerung trifft, ist zu begrüßen.
Was kann Österreich tun?
Das Außenministerium könnte aufgrund seiner historischen Stellung eine Schlüsselrolle in der EU übernehmen. Die Sympathie für Österreich im arabischen Raum wäre eine Chance. Das Außenministerium müsste so vorgehen, wie Alois Mock am Ende des Kommunismus im Ostblock.
© 2011 Wiener Zeitung
Zur Person: Tarafa Baghajati, geboren 1961 in Damaskus (Syrien), studierte Bauingenieurwesen in Rumänien. 1984 verbrachte er acht Monate in den Folterkellern des früheren Diktators Hafez el-Assad, drei Monate davon in "Tadmur", dem berüchtigten Gefängnis von Palmyra. Seit 1986 lebt und arbeitet Baghajati als Diplombauingenieur in Wien. Baghajati ist Vortragsredner über Migration, Integration, Antirassismus, Islam und Nahostpolitik. Er gründete 1999 die Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen, deren Obmann er heute ist. Seit 1996 besucht er regelmäßig Syrien