Gewalt gegen Musliminnen: Kopftuch als Zielscheibe

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Tuesday, 9 December, 2014
Gewalt gegen Musliminnen: Kopftuch als Zielscheibe

In den vergangenen Wochen haben sich die Berichte über Attacken auf muslimische Frauen in Wien gehäuft. Die Anzahl der Übergriffe steige, sagen Muslime. Die Polizei kann das nicht bestätigen.

Es geschah am 1. Dezember in einer Bank in Wien: Ein Mann stellte sich in der Warteschlange am Schalter direkt vor eine Frau. Ein Streit entbrannte und der Mann schubste die kopftuchtragende Muslimin. Die 60-jährige Pensionistin Selver S. fiel hin und brach sich beim Sturz die Lendenwirbel. Das berichteten sowohl das österreichisch-türkische Onlinemagazin Haber Journal, als auch die Gratiszeitung „Heute“. Die Wiener Polizei bestätigte den Vorfall auf Anfrage von religion.ORF.at: „Es liegt eine Anzeige vor“, sagte Polizeisprecher Roman Hahslinger.

Die Frau, die nach dem Sturz in ein Krankenhaus eingeliefert und operiert werden musste, „konnte noch nicht einvernommen werden“. Der Polizei liege derweil nur die Aussage von dem betroffenen Mann vor. Er habe jedoch nicht bestätigt, die Frau gestoßen zu haben.

„Kopftuchträger, geht weg von hier“

Im Krankenhaus schilderte die Muslimin dem Haber Journal ihre Sicht der Dinge. Sie sei in der Warteschlange bereits die Dritte gewesen, als sich ein Mann vor sie gedrängt habe. Selver S. habe den Mann zurechtgewiesen, woraufhin er sie beleidigte. „Ihr bedeckt eure Köpfe und kommt einfach her. Kopftuchträger, geht weg von hier“, soll der Mann gesagt und sie daraufhin mehrmals gestoßen haben.

Auch nachdem die Muslimin aus Angst nachgegeben und sich hinten angestellt habe, sei sie erneut gestoßen worden - so heftig, dass sie auf den Boden fiel. „Das Einzige, woran ich mich erinnern kann ist, dass ich plötzlich umgestoßen wurde und mit quälenden Schmerzen auf dem Rücken lag“, sagte Selver S. dem Onlinemagazin.

 

Die Sprecherin der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiö) Carla Amina Baghajati bemerkt vermehrt Übergriffe aus Frauen mit Kopftuch.

Verbale und physische Attacken gegen Musliminnen hätten sich in den vergangenen Monaten gehäuft, sagte Carla Amina Baghajati, Sprecherin der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ), und außerdem für Frauenfragen verantwortlich.

Frauen, die in der U-Bahn geschlagen oder angespuckt worden sind, Musliminnen, denen das Kopftuch vom Kopf gerissen wurde oder die mit der Terrormiliz IS gleichgesetzt wurden - Fälle wie diese versetzten die muslimische Community in jüngster Vergangenheit in Alarmbereitschaft. „Es ist ein Anstieg verbaler und körperlicher Gewalt zu beobachten“, sagte Baghajati gegenüber religion.ORF.at. Man sei beunruhigt, denn diese Form von Diskriminierung hätten Muslime in Österreich bisher nicht gekannt.

Polizei erhebt Islamfeindlichkeit nicht

„Es wurden immer wieder Beleidigungen und Diskriminierungen am Arbeitsmarkt wegen islamischer Bekleidung dokumentiert“, so Baghajati, aber jetzt kämen vermehrt physische Angriffe ins Spiel. Das lasse sich mit Blick auf die Zahl der Anzeigen allerdings nicht bestätigen, heißt es seitens der Wiener Polizei.

Anders als im jüngsten Fall der Pensionistin würden die meisten Frauen keine Anzeige machen. „Wir erfahren selbst oft erst aus der Zeitung von solchen Vorfällen“, sagte Hahslinger. Doch auch wenn eine Muslimin einen solchen Angriff zur Anzeige brächte, er würde nicht als „islamfeindlich motiviert“ dokumentiert, erklärt Hahslinger.

IGGiÖ-Sprecherin Baghajati will jedenfalls auf Bewusstseinsarbeit setzen. „Frauen, denen so etwas passiert, stehen oft unter Schock und sind oft erst nach Stunden in der Lage zu reflektieren, was sie hätten tun sollen.“ Es müsse - „ohne Panik zu machen“ - schon Kindern beigebracht werden, wie sie in solchen Fällen zu reagieren hätten.

Dokumentationsstelle nimmt Arbeit auf

Es sei außerdem wichtig, „ernstzunehmendes, seriöses Datenmaterial“ bereitzustellen, das Aufschluss über das Ausmaß an islamfeindlich motivierten Attacken gebe. Das soll nun eine Dokumentationsstelle der IGGiÖ leisten. Die Stelle sei seit einigen Wochen aktiv und werde ehrenamtlich betrieben. Baghajati rief die muslimische Bevölkerung dazu auf, diese Dokumentationsstelle zu nutzen. Man müsse sich nicht zum Opfer machen lassen, sondern könne Maßnahmen setzen.

Die Dokumentationsstelle, die nicht nur negative Vorkommnisse, sondern auch Fälle von Zivilcourage und Solidarität festhalten soll, arbeitet bisher noch abseits der großen Öffentlichkeit. Ab kommenden Mittwoch sollen die Mitarbeiter aber über eine Hotline, Facebook und demnächst auch über eine eigene Website erreichbar sein, sagte Büsra Demir, die für die neue Dokumentationsstelle verantwortlich zeichnet.

Offiziell wurden noch keine Fälle dokumentiert, aber „wenn man in der muslimischen Community so ein Thema anspricht, dann kann plötzlich jeder mitsprechen. Ich hoffe, dass sich die Leute dann auch melden werden“.

Clara Akinyosoye, religion.ORF.at

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