Stellungnahme im Namen der Islamischen Glaubensgemeinschaft zum Fall der Grazer Schülerin
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An einer Grazer Schule wurde das Kopftuch einer Schülerin von zwei Schulkolleginnen angezündet. Glücklicherweise war dieses nicht aus leicht entzündlichem Material und es entstand zumindest kein körperlicher Schaden. Inzwischen zog dieser erschreckende Vorfall den Schulverweis der beiden Täterinnen nach sich. Sie waren zu einer Entschuldigung nicht bereit. Auch wenn die Schule, wie auch der Schulträger, die Caritas Steiermark, alle Schritte setzten, die in dieser Situation wohl angemessen sind, bleibt der Vorfall ein eindringliches Signal:
Hier zum Nachlesen die erste Stellungnahme der Islamischen Glaubensgemeinschaft vom Vormittag des 30. September, die Aussendung der Caritas Steiermark zu Mittag und die abendliche Wortmeldung der Islamischen Religionsgemeinde Steiermark.
Islamische Glaubensgemeinschaft: Kopftuch angezündet
Der Vorfall an einer Grazer Schule muss als Reaktion mehr als nur eine Schlagzeile in den Medien und momentanes Entsetzen auslösen, sondern als Weckruf verstanden werden
Wenn Schülerinnen das Kopftuch einer Klassenkameradin anzünden, sind alle roten Linien überschritten. Doch geht es um viel mehr als einen schulinternen Konflikt. Dieser Gewaltakt soll vor allem vor seinem gesamtgesellschaftlichen Hintergrund betrachtet werden. Hetze gegen Ausländer und gegen Muslime in einer Zeit allgemein beklagter sozialer Kälte und drohenden Werteverlusts schaffen ein polarisiertes Klima, das die Hemmschwelle zu körperlicher Gewalt gefährlich herabsetzt. Aus Frustration und Missgunst erwächst ein gefährliches Aggressionspotential.
Die Schule allein kann nicht der Ort sein, an die die Bereinigung solcher Probleme delegiert wird. Die jetzt in den allgemeinen Blick geratene Einrichtung hat mit diversen Aktivitäten im Dialogbereich bereits gezielte Aktivitäten gesetzt. Freilich lassen sich aus dem Vorfall und dem bisherigen Umgang damit wichtige allgemeine Standards ableiten:
- Das Opfer darf nicht zum Täter gemacht werden. Bedenklich stimmt, dass die muslimische Schülerin sich zunächst nicht den Lehrerinnen anvertraute. Sie ahnte wohl schon, was sich auch derzeit abzuzeichnen scheint: Dass man sie ausgrenzen und mobben würde.
- Die Position „die andere Seite auch verstehen“ kann sich nur darauf beziehen, aus solchem Verständnis Strategien abzuleiten, wie präventiv in Zukunft Gewalt verhindert werden kann. Keinesfalls darf der dazu nötige Dialog mit der Täterseite als Signal missverstanden werden, die von ihr ausgegangene Gewalt sei irgendwie „nachvollziehbar“ und damit zu rechtfertigen oder zu tolerieren.
- Bei körperlicher Gewalt, durch die Leib und Leben anderer massiv gefährdet werden, wird jede Toleranzgrenze überschritten. Werden hier keine auch nach außen sichtbaren Sanktionen gesetzt, so kann dies fatale Auswirkungen auf die allgemeine Bewusstseinsbildung haben. Schlimmstenfalls könnte ein Ausbleiben jeder Konsequenz als Freibrief für Nachahmungstäter missverstanden werden.
Auch wenn der Schuldirektorin wohl zuzustimmen ist, dass der Gewaltakt keine religiöse Dimension hat, so ist dieser Aspekt doch nicht ganz auszuklammern. Denn es ist davon auszugehen, dass den beiden Schülerinnen, die das Kopftuch anzündeten, vor Augen stand, dass sie damit einen höchst symbolträchtigen Akt begingen, der auch psychisch ihr Opfer aufs höchste verletzen musste. Darüber hinaus registrieren Muslime mit größter Besorgnis, wie immer wieder Argumente konstruiert werden, die eine moralische Rechtfertigung für diskriminierende Einstellungen und konkrete Benachteiligungen gegen die muslimische Minderheit bieten sollen. Damit wird der Boden für Aggression bereitet. Wenn sich diese gerade bei Jugendlichen in Gewalt entlädt, dürfen sich auch Erwachsene und hier vor allem Meinungsmacher in Politik und Gesellschaft nicht aus der Verantwortung stehlen. Was muss noch geschehen, damit endlich angemessen reagiert wird?
Caritas Steiermark: Beschuldigte Schülerinnen von der Schule verwiesen
Ein Vorfall an einer Schule der Caritas in Graz sorgt weiter für Diskussionen. Im Zuge eines Schulausflugs zum Stift Rhein hatten zwei Schülerinnen eine muslimische Mitschülerin bedrängt, dabei wurde auch das Kopftuch des Mädchens mit einem Feuerzeug angesengt. Seit Bekanntwerden des Vorfalls fanden an der Schule mehrere Gespräche mit den Betroffenen sowie deren Eltern und Vertrauenspersonen statt. Gestern Abend konnte eine weitgehende Einigung aller Beteiligten über die weitere Vorgehensweise erreicht werden. Heute Vormittag stellte sich die Situation allerdings anders dar. Direktorin Mag. Evelyn Awad: „Die beiden Täterinnen wollten sich bei ihrer Mitschülerin vor der versammelten Klasse entschuldigen, sie haben dies aber nicht getan. Da das Ziel der Einsicht nicht erreicht werden konnte, blieb mir als letzte Konsequenz nur der Schulverweis.“
Die Caritas Fachschule für wirtschaftliche Berufe in Graz wird derzeit von 137 SchülerInnen im Alter von 14 bis 16 Jahren besucht. Die Schule hat sich gerade im Bereich der Integration ein starkes Profil erarbeitet. Direktorin Awad: „Gerade jetzt, wo viel über Gewalt von Jugendlichen diskutiert wird, wollen wir hier vor bestehenden Spannungen nicht kapitulieren, sondern aktiv an Lösungen arbeiten. Aber natürlich setzt dies voraus, dass die Beteiligten auch dazu bereit sind.“
In der Schule werden vier verschiedenen Formen von Religionsunterricht angeboten und immer wieder in speziellen Projekten an der interkulturellen und interreligiösen Kompetenz gearbeitet. Auch eine eigene Sozialpädagogin ist an der Schule als Ansprechperson für die SchülerInnen tätig. Der Anteil der SchülerInnen mit Migrationshintergrund liegt bei rund 20 Prozent, außerdem besuchen viele SchülerInnen aus sozial schwachen Familien die Schule – ebenso schließen einige SchülerInnen mit Teilleistungsschwächen hier ihre Pflichtschullaufbahn positiv ab.
Der Vorfall mit dem Feuerzeug wird von der Caritas entschieden verurteilt. Unabhängig von den sozialpädagogischen Maßnahmen ist auch eine straferechtliche Relevanz gegeben, die ohne Umschweife aufzuklären ist. In einem Gespräch mit der Mutter der Betroffenen hatte die Direktion ihr daher auch – sofort nach Bekanntwerden des Geschehens – nahe gelegt, Anzeige zu erstatten. Parallel dazu waren die Schülerinnen von der Direktion schriftlich verwarnt worden.
Im Rahmen der gesetzten sozialpädagogischen Maßnahmen wurde auch der an der Schule tätige islamische Religionslehrer eingebunden. Auch der schulpsychologische Dienst wurde zu Rate gezogen. Oberstes Ziel ist es nun, gemeinsam wieder zu einer Normalität zu finden.
Mag. Harald Schmied
Leiter Kommunikation & Fundraising
Caritas der Diözese Graz-Seckau
Islamische Religionsgemeinde Graz für die Steiermark und Kärnten
Wir, die Islamische Religionsgemeinde Graz für Steiermark und Kärnten, verurteilen den tätlichen Angriff gegen die muslimische Schülerin einer Grazer Schule auf das Schärfste. Das absichtliche Anzünden des Kopftuchs einer Klassenkameradin und das bewusste In-Kauf-Nehmen von schwersten Verletzungen und Verbrennungen des Opfers ist keine Jugendsünde und auch kein Schülerstreich, sondern ein schwerwiegender krimineller Akt. Hier wurden gezielt und vorsätzlich alle roten Linien überschritten und alle Regeln des zivilisierten Miteinanders verletzt. Hier geht es um sehr viel mehr als eine „alltägliche“ Schülerstreitigkeit oder einen „normalen“ schulinternen Konflikt. Wir hoffen, dass es hierbei nicht um eine rassistisch motivierte Tat geht.
Dieser Ausbruch von körperlicher Gewalt gegen eine Angehörige einer religiösen Minderheit und deren sichtbares Kennzeichen, das Kopftuch, muss vor seinem gesamtgesellschaftlichen Hintergrund betrachtet und bewertet werden. Die in der jüngsten Vergangenheit immer stärker zunehmende Hetze gegen Ausländer und Muslime in den Medien und von bestimmten politischen Parteien haben ein gesellschaftliches Klima geschaffen, das den Boden für derartige Gewaltauswüchse bereitet hat.
In einer Zeit allgemein beklagter sozialer Kälte und des Werteverfalls wird durch diese Hetzkampagnen die Hemmschwelle zu körperlicher Gewalt herabsetzt und es erwächst ein gefährliches Aggressionspotenzial aus Frustration und Missgunst, das nicht nur die Opfer, die Migranten und Muslime, sondern unsere gesamte Gesellschaft bedroht.
Deshalb rufen wir alle Verantwortlichen in unserem Land auf, sich zusammen mit den Muslimen aktiv für eine echte Einheit in Vielfalt sowie für die Intensivierung des Dialogs der Religionen und Kulturen auf allen Ebenen einzusetzen. Wir dürfen den Scharfmachern und Hasspredigern nicht unsere Zukunft überlassen. Wir wollen uns gemeinsam gegen die Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas mit Hetzparolen einsetzen und unseren Beitrag für ein friedvolles und respektvolles Miteinander leisten.
Unser besonderer Dank gilt Frau Schuldirektorin Mag. Evelyn AWAfür ihre schnelles und überlegtes Handeln und Herrn Caritasdirektor Franz Küberl für seinen persönlichen Einsatz.
Wir hoffen, dass dieser Vorfall die Medienverantwortlichen dazu bewegt, die eigene Berichterstattung kritisch zu reflektieren und sich die Auswirkungen unsachlicher und subtil rassistischer Botschaften vor Augen zu führen und ein Umdenken zum Wohle des sozialen Friedens in unserem Land einzuleiten.
Kamel Mahmoud
Dr. techn. Kamel G. MAHMOUD
Vorsitzender der Islamischen Religionsgemeinde Graz
für die Steiermark und Kärnten
Niesenbergergasse 40
8020 Graz
Tel. +43 650 7829519