Damit Integration funktioniert
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Wie schaffen wir es, dass In- und Ausländer nicht neben-, sondern miteinander leben. Ein Maßnahmenkatalog in neun Kapiteln.
vollständiger Artikel: http://kurier.at/nachrichten/2037852.php
Zusammenfassung: http://www.kathweb.at/content/site/nachrichten/database/35033.html
In einer umfassenden Serie hat sich die KURIER-Redaktion mit dem Thema Ausländer und Integration auseinandergesetzt. Zur Sprache kam, ob sich auch Österreich abschafft (wie es der umstrittene Banker Thilo Sarrazin für Deutschland formulierte).
Zum Abschluss der Serie erklären neun Persönlichkeiten, welche Maßnahmen Politik und Gesellschaft setzen müssen, damit Integration wirklich funktioniert. Auf Platz eins der Wunschliste steht die Sprachförderung. "Und zwar von Kleinkindalter an", so AMS-Chef Johannes Kopf. "Dazu braucht es auch eine interkulturelle Schulung der Pädagogen", fordert Family-Coach Martina Leibovici-Mühlberger.
Der ehemalige Wiener Stadtschulratspräsident Kurt Scholz fordert ein "Ende der Schönfärberei", Migrationsforscher Heinz Fassmann eine bessere Ausstattung der Schulen und Carla Amina Baghajati von der Islamischen Glaubensgemeinschaft ein Integrations-Ministerium
Schul-Fachmann: Politik in die Peripherie
Kurt Scholz, ehemaliger Wiener Stadtschulratspräsident und heute Mitglied der Opferschutzkommission: "Es braucht das Ende der Schönfärberei und des leider wohlmeinenden Wegredens von tatsächlich existierenden Problemen. Man muss auch den Sarrazin und sein Buch aufklärerisch und kritisch diskutieren, alles andere ist eine Vogel-Strauß-Politik.
Die Politik muss vor Ort anwesend sein. Es hilft nicht, aus den Parteizentralen heraus Allerwelts-Humanismen zu predigen. Die Politik gehört in die Peripherie und muss sich fragen, was bedeutet das denn für die Pensionistin im Beserlpark oder für den von Arbeitslosigkeit Bedrohten? Nur so kann man den Menschen Ängste nehmen. Und nicht immer nur den provokanten politischen Gegner verteufeln, sondern schauen, dass man mit Argumenten überzeugt. Der Tot-stell-Reflex ist in der Politik tödlich. Dazu müsste man aber auch die besorgniserregende intellektuelle Ausdünnung in den Parteien bekämpfen."
Gewerkschafter: Alle einbeziehen
Erich Foglar ist Zentralsekretär der Gewerkschaft Metall-Textil und ÖGB-Präsident: "Integrationspolitik muss weiter gefasst werden, und dazu müssen alle einbezogen werden, die Menschen, die schon hier leben, und die Menschen, die zu uns kommen. Nur das fördert das Miteinander und verhindert, dass die Parolen der Hetzer auf fruchtbaren Boden fallen.
Wir müssen einander verstehen können: Ab dem Kindergarten muss es verstärkt Förderung in der deutschen Sprache geben, aber auch in der jeweiligen Muttersprache. Das nutzt allen Kin dern und erhöht ihre Chancen auf dem weiteren Bildungsweg. Und es braucht Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt. Menschen mit Migrationshintergrund müssen in den arbeitsmarktpolitischen Zielen des AMS stärker berücksichtigt werden, dafür sollen auch mehr Berater mit Migrationshintergrund eingesetzt werden. Ausbildungsabschlüsse, die im Ausland gemacht wurden, müssen in Österreich besser anerkannt werden."
Muslima: Ressort für Integration
Carla Amina Baghajati, Islamische Glaubensgemeinschaft: "Ein eigenes Ressort für Integration - damit diese endlich aus dem Fokus des Sicherheitsaspekts kommt. So machen wir die zu Integrierenden zu Akteuren und nicht zu einer misstrauisch beäugten Gruppe, vor der man sich schützen muss.
Integration der Integration - damit ein Paradigmenwechsel Integration zu unser aller Thema macht und nicht länger als Problem der ,anderen' ausgelagert wird. Das würde uns wegbringen von kontraproduktiver Feindbildpolitik, die seit der Wirtschaftskrise immer mehr in den Mainstream schwappt. Vernetztes Denken und Handeln ist angesagt. Dann wird ,Bereicherung' durch Vielfalt nicht als Gutmenschsprech abgetan, sondern spürbar. Bildung - und zwar für alle am Rande der Gesellschaft, damit sozialer Aufstieg gelingt. Bildung fördert Kommunikationsvermögen und Austausch. So kann ein Wir-Gefühl entstehen, dessen Mangel derzeit mit ausgrenzender Hasspropaganda gefüllt wird."
Forscher: Neue Weichen stellen
Heinz Fassmann, Migrationsforscher: "Die weitere Harmonisierung des Aufenthalts- und Arbeitsrechts - insbesondere bei nachgezogenen Familienangehörigen - soll jenen, die legal anwesend sind, auch den Zugang zum Arbeitsmarkt eröffnen. Eine Wohnungspolitik in den Städten, die den sozialen und ethnischen Mix der Bevölkerung vor Ort sicherstellt, soll Lernräume ermöglichen und den Zusammenhalt fördern.
Und: Eine verbesserte Ausstattung der Schulen mit einem hohen Ausländeranteil, soll die Attraktivität erhöhen und die Abwanderung der einheimischen Kinder verhindern (Quartiers- und Magnetschulen). Viel wichtiger aber als das: Politik muss verstehen, dass eine langfristig konzipierte Zuwanderungs- und Integrationspolitik für die Zukunftsfähigkeit des Landes wichtig ist. Die Zugewanderten sollen einen aktiven Schritt in die aufnehmende Gesellschaft tätigen und sich auf Österreich einlassen. Und wir alle sollten nicht zu schnell ungeduldig werden: Integration braucht Zeit."
Musiker: Klare Kompetenzen
Slavko Ninic ist Bandleader der legendären Wiener Tschuschenkapelle: "Meiner Meinung nach braucht es dringend ein Integrations-Ministerium, das sich um die Anliegen der Eingewanderten kümmert und die entsprechenden Rahmenbedingungen schafft, damit Integration auch wirklich stattfinden kann. Das müsste dann auch dazu genutzt werden, klar die Kompetenzen zu verteilen und klar zu definieren, was denn Migrationspolitik überhaupt sein soll, sein kann und was konkret zu tun ist.
Dann wünsche ich mir wesentlich mehr interkulturelle Veranstaltungen in Österreich. Man wohnt ja oft nebeneinander und nicht miteinander. Die Leute müssten einfach mehr aufeinander zugehen. Sowohl die Eingewanderten als auch die Einheimischen. Dafür sind Events und Veranstaltungen verschiedener Kulturen ideal. Sie bringen die Menschen zusammen und können helfen, Ängste und Vorurteile abzubauen. Das Fremde ist ja nur solange verdächtig, solange es fremd ist."
Kinder-Expertin: Interkulturelle Schulung
Martina Leibovici-Mühlberger, Psychotherapeutin und KURIER-Family-Coach: "Eine Aufschulung aller Kindergartenpädagogen im Hinblick auf interkulturelles Management. Integration fängt im Kindergarten an. Kleine Kinder haben keine Grenzen und Schwellen. Die geschulten Pädagogen wissen dann, welche Spiele und Projekte zielführend sind, und wie man Eltern reinholen kann.
Family mit Family: Eine einfache Maßnahme, bei der Familien über eine Internet-Plattform interkulturellen Austausch pflegen und Freundschaften knüpfen können. Elternvereine sollten interkulturelle Elternbildung anbieten. Gleichgültig aus welchem Kulturkreis, das Thema Pubertät beispielsweise beschäftigt jede Familie. In dieser Zeit haben alle die gleichen Probleme mit ihren Kindern. Das vereint, verbindet und ermöglicht auch andere Zugänge. Dabei wird wechselseitig das Verständnis erhöht, man kann profitieren und etwas lernen. Auch österreichische Eltern sollten sich um Kontakte bemühen."
Arbeitsmarkt-Chef: Aufgabe von uns allen
Johannes Kopf, AMS-Vorstand: "Sprachförderung vom Kleinkindalter an. Wir brauchen innovative Konzepte, die Anreiz schaffen und motivieren. Erwachsene lernen die Sprache oft leichter, wenn sie in Verbindung mit Fachinhalten steht. Also kein reiner Deutschkurs, sondern mit einer anderen Ausbildung kombiniert.
Förderung und Maßnahmen zur Qualifizierung von Personen mit Migrationshintergrund, damit sie die gleichen Chancen haben. Nur so können wir die Potenziale, die ja vorhanden sind, nützen. Qualifizierte Arbeit ist die beste Methode zur Integration. Integration darf nicht als Verpflichtung des Migranten allein definiert werden, sondern als Aufgabe der Gesellschaft. Natürlich ist es auch eine Verpflichtung der Person, aber es ist auch eine Aufgabe von uns allen. Wir verlangen von den Leuten etwas, aber wir müssen ihnen auch etwas bieten, weil Integration auch in unserem Interesse ist. Da geht es um soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Sicherheit."
Bildungs-Experte: Ende der Negativspirale
Andreas Salcher, KURIER-Schüleranwalt: "Bildung, Bildung, Bildung. Der Schwerpunkt der Integration ist im Kindergarten und in der Volksschule zu leisten. Das reduziert alle Probleme, die danach kommen, enorm. In der Volksschule kann man mit Unterstützungslehrern viel leisten. Die Kinder lernen die Sprache und die Spielregeln unserer Gesellschaft. Das Schul- und Sprachproblem kann nicht auf Integration reduziert werden. Es ist ein Problem bildungsferner Schichten - und die gibt es auch unter Österreichern.
Daher muss Bildung integriert werden - und dafür muss der Staat massiv investieren. Was hier an Betreuungsaufwand und Kompensation notwendig ist, kann Schule allein nicht leisten. Aber Schule ist die einzige Chance für Kinder, die von ihren Eltern nicht gefördert werden. Nur so können sie der Negativspirale entkommen. Dazu braucht man aber Psychologen und Sozialarbeiter, die stärkend wirken, damit die Schule ihre positive Wirkung erfüllen kann."
Caritas-Leiter: Keine Ängste schüren
Michael Landau, Direktor der Caritas-Wien: "Ich wünsche mir von den verantwortlichen Politikern eine Versachlichung der Debatte. Wir müssen die Sorgen der Menschen in unserem Land hören und ernst nehmen. Gleichzeitig verwehre ich mich gegen jede Form der Hetze und das Schüren von Ängsten. Das Ausländerthema darf nicht länger zur Wählerstimmenmaximierung missbraucht werden.
Sprache und Bildung sind der Schlüssel zur Förderung der Integration und Teilhabe. Es geht um faire Chancen für alle Kinder in unserem Land, davon sind wir heute leider weit entfernt. Wir brauchen etwa ein ausreichendes Angebot an Frühförderung und Deutschkursen, die leistbar, erreichbar und zugänglich sein müssen. Und Integration braucht mehr Räume der Begegnung. Aus unseren Projekten wie ,Tanz die Toleranz', ,youngCaritas käfigleague' oder ,Brunnenpassage' wissen wir, dass Gespräche und gemeinsames Tun wesentliche Mittel sind, um Ängste und Vorurteile zu überwinden."
kurier.at Letztes Update am 02.10.2010, 15:30