FURCHE: Schicksalsjahr für Österreichs Muslime

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2011 ist Chance, aber auch vielfältige Herausforderung für die Muslime des Landes.

Von Tarafa Baghajati in der FURCHE 4/2011

Hier ist die ungekürzte Originalfassung des in der FURCHE 4/2011 auf Seite 12 veröffentlichten Artikels:

http://www.islamische-zeitung.de/?id=14399

Österreich steht mit der Anerkennung des Islam seit dem 15. Juli 1912 und mit der Etablierung  der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich IGGÖ seit 1979 als Körperschaft öffentlichen Rechts einzigartig in Europa da. Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich ist die staatlich anerkannte Religionsgesellschaft der Anhänger des Islams (§ 1 Islam VO 1988), die in der Republik Österreich ihren Wohnsitz oder ihren Aufenthalt haben. Es muss in diesem Zusammenhang betont werden, dass dieser Vertretungsanspruch der IGGÖ ausschließlich für die religiösen Belange gilt und weder politisch noch ethnisch zu verstehen ist. Das heißt aber nicht, dass die IGGiÖ gesellschaftspolitisch leise bis unbedeutend auftreten sollte. Vielmehr ist die IGGÖ wie die anderen Religionsgemeinschaften einberufen, sich zu Wort zu melden, insbesondere wenn Menschen- und Minderheitenrechte berührt sind. Die  Herausforderungen wurde  2010 nicht kleiner, zumal das bisherige „Monopol“ auf die Bezeichnung „islamisch“ gefallen ist, da Ende 2010 die österreichischen Aleviten vom Kultusamt im Bildungsministerium als religiöse Bekenntnisgemeinschaft anerkannt wurden, und zwar explizit mit dem Zusatz "islamisch“.

Für die IGGÖ, bzw. für die Muslime Österreichs sind die Jahre 2010 und 2011 Schicksalsjahre. Im heurigen Jahr 2011 werden die Wahlen nach der am 22. Oktober 2009 vom Kultusamt zur Kenntnis genommenen neuen Verfassung  der IGGÖ Mitte Mai  abgeschlossen (Details zur neuen Verfassung sind auf der Homepage der islamischen Glaubensgemeinschaft www.derislam.at  abrufbar). Alle Bundesländer mit Ausnahme der Steiermark und Wiens haben gewählt. Und es gilt als offenes Geheimnis, dass Wien hier eine große Rolle spielt, zumal hier fast die Hälfte aller Muslime Österreichs leben. Es steht außer Frage, dass der bisherige Präsident Anas Schakfeh nicht mehr kandidieren wird, und somit  steht die Wahl einer neuen Führung der IGGÖ auf dem Programm. Reformschritte in Richtung Demokratisierung, aber vor allem auch die offizielle Registrierung der Mitglieder werden den Vertretungsanspruch der IGGÖ zweifelsohne stärken, bergen in sich aber einige Gefahren. Wesentliche Herausforderungen liegen vor allem in folgenden fünf Punkten:

1)     Die Unabhängigkeit der neuen Führung: Es darf nicht passieren, dass eine ethnische Gruppe innerhalb der IGGÖ alleine das Sagen hat. Die Verfassung hat diesbezüglich durch etliche Bestimmungen vorgesorgt. Demokratie im Sinne von Mehrheitsentscheidung ist gut, aber nicht ohne Risiken. Die Führung der IGGÖ muss gegenüber den politischen Führungen in den islamischen Staaten ihre Unabhängigkeit bewahren. Nichts ist gefährlicher, als wenn die  IGGiÖ zur Befehlsempfängerin eines Staates würde, weil dadurch die ganze Autonomie der IGGÖ zum Kippen gebracht würde. Die Unabhängigkeit ist ebenfalls unerlässlich gegenüber islamischen Bewegungen und Parteien, aber auch gegenüber politischen Parteien in Österreich.

2)     Kompetenz der neuen Führung: Eine demokratisch gewählte Führung ist sicherlich in Sinne einer glaubwürdigen Vertretung wichtig. Problematisch wird es, wenn nicht die Kompetenz, sondern die ethnische und politische Zugehörigkeit bei der Wahl der Führung Ausschlag gebend sind, während Fähigkeiten wie das Verständnis für die spezifisch österreichische Situation auf der Strecke bleiben würden. Und hier geht es nicht nur um die Person des zukünftigen Präsidenten, sondern um die gesamt neue Führungsriege vor allem in den Bundesländern. Erfreulich ist hier festzuhalten, dass die großen Austro-Türkischen Organisationen zwar inoffiziell aber immerhin in einer klaren Einheitlichkeit verlautbaren, dass sie keinesfalls die IGGiÖ als Handlanger  irgendwelcher Richtungen verkommen lassen würden und dass sie interessiert und bereit sein werden für eine echte Widerspiegelung der Vielfalt der Muslime Österreichs in der Führung zu sorgen, wobei die Kompetenz das wichtigste Kriterium darstellt.

3)     Vertretung der Minderheiten und der nichtorganisierten Muslime: Hier gilt vor allem, den Schiiten ein attraktives Angebot zu machen, wie sie in der neuen Führung trotz ihres zahlenmäßig geringen Anteils ein glaubwürdiges Mitgestaltungsrecht bekommen. Es muss auch praktisch dafür Sorge getragen werden, dass die IGGiÖ eine österreichische, sunnitische wie schiitische Vertretung aller Muslime ist. Auch für die nicht in Vereinen organisierten Muslime muss eine Möglichkeit gefunden werden sie einzubinden. Bei weitem heikler ist weiterhin die Frage der Aleviten, da noch immer manche Organisationen und wichtige Personen sich nicht als eigene Religion sehen wollen, sondern als Bestandteil der muslimischen Umma. Für diese (z.B. syrische und zahlreiche türkische Aleviten) sollte die IGGiÖ da sein und spezifische Lösungen suchen. Wichtig ist, dass niemand bevormundet oder vereinnahmt werden soll.

4)     Frauenbeteiligung an der neuen Führung und Rolle der Jugend: Da die großen Verbände und Vereine bestenfalls Frauenabteilungen haben, Frauen aber in der eigentlichen Organisation und Führung leider unzureichend bzw. kaum vertreten sind, droht schon die erste Ebene nach den Wahlen, die Gemeindeversammlung, männlich dominiert zu sein. Auch wird von den großen Organisationen versichert, dass die Frauen nicht auf der Strecke bleiben werden und dass geschlechtsspezifische Diskriminierung nicht antreten darf. Frauen weiterhin in Führungspositionen zu behalten ist eine Stärkung der IGGÖ. Sie nur auf Frauenagenden zu reduzieren oder sie nur namentlich als Verzierung anzuführen würde die IGGÖ schwächen und unglaubwürdig erscheinen lassen. Eine „Verjüngung“ der Führung ist auch wichtig, „ältere“ müssen allmählich lernen, auch wenn traditionswidersprechend los zu lassen. Aber dafür müssen sich auch die zahlreichen vorhandenen muslimischen Jugendorganisationen entsprechend einbringen. Überfällig wäre hier ein Koordinationsgremium, das Anliegen der Jugendlichen nach innen einbringt und nach außen präsentiert. Auch hier ist die Alleinvertretung  durch eine einzige Organisation für das Anliegen der Muslime nicht förderlich.

5)     Professionelle Führung der IGGiÖ-Institutionen:

Die Ära Schakfeh wird in die  Geschichte Österreichs mit der Erinnerung an zwei wichtige Säulen eingehen. An erster Stelle  die theoretische Definition und  Standortsbestimmung für den „Islam in Europa“ durch die drei europäischen und eine österreichische Imame-Konferenzen, samt deren für die nächsten Jahrzehnte richtungsweisenden Dokumente und Schlusserklärungen. Und zweitens als Ära der Institutionalisierung, insbesondere im Bildungsbereich. Die Institutionen IRPA, IRPI und die Islamische Fachschule sind Einrichtungen, die ihresgleichen in Europa suchen. In fast allen EU-Ländern wird verzweifelt mit dem Thema islamischer Religionsunterricht umgegangen, während hier Österreich eine Vorreiterrolle spielt. Aber auch hier müssen die Faktoren Unabhängigkeit, Kompetenz, Professionalität und Vielfalt gewahrt bleiben. Nichts ist gefährlicher, als wenn eine Bildungsinstitution zu einer „Versorgungsanstalt“ irgendwelcher Organisationen verkommt. Bildung braucht Diversität und Offenheit, wer sich da verschließt, begibt sich selbst in die Bedeutungslosigkeit.

Es darf nie zu einem „Proporzsystem“ nach Zugehörigkeit der Organisationen kommen oder – noch schlimmer -  zu einem Werkzeug einzelner Organisationen.

Die Unterstützung  der nichtmuslimischen Öffentlichkeit, durchaus im Sinne einer kritischen Anteilnahme, täte der IGGiÖ in den nächsten Jahren durchaus gut. Problematisch wird es , wenn nicht Kritik, sondern Zerstörungswille im Vordergrund steht! Aber die Voraussetzung sind gar nicht so schlecht für ein erfolgreiches IGGiÖ Schicksalsjahr 2011.

Tarafa BAGHAJATI, Obmann der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen

Kontakt: baghajati [at] aon.at