Baghajati: ISIS-Kalifat „verrückte Idee“

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Thursday, 3 July, 2014
Baghajati: ISIS-Kalifat „verrückte Idee“

Tarafa Baghajati, Obmann der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen bezeichnet im Gespräch mit religion.ORF.at die Ausrufung des Kalifats durch die islamische Extremistengruppe ISIS als politisch nicht zu unterschätzende „verrückte Idee“.

Der selbsternannte Kalif Abu Bakr al-Baghdadi hatte am Dienstag Muslime in aller Welt dazu aufgerufen, in das von der Terrorgruppe ISIS ausgerufene Kalifat im Raum Irak/Syrien zu ziehen. Dies sei die Pflicht aller Muslime, richtete al-Baghdadi via Audiobotschaft im Internet aus. Zugleich mit der Ausrufung des Kalifats benannte sich die Gruppe in IS - Islamischer Staat - um. Weltweit gingen am Wochenende Muslime auf die Straßen, um gegen das Kalifat und die Gewalt im Namen des Islams zu demonstrieren.

Ein ISIS-Kämpfer mit der Flagge des Islamischen Staates in der menschenleeren Stadt Kufa

Reuters/Stringer

Ein IS-Aktivist mit der Flagge des Kalifats in der menschenleeren irakischen Stadt Kufa

Baghajati: Kalifat irrelevant

Dass mit der Ausrufung dieses Kalifats der Anspruch auf die Führung aller Muslime weltweit verbunden sei, weist Tarafa Baghajati (53), Obmann der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen im Gespräch mit religion.ORF.at entschieden zurück. „Das Kalifat ist politisch, geografisch und ethnisch irrelevant“. Islamische Gelehrte distanzierten sich ebenfalls von dem Kalifat - mehr dazu in Islamische Gelehrte lehnen ISIS-Kalifat ab. Viele Gelehrte fänden es nicht einmal der Mühe wert, sich näher damit zu befassen, denn religiös gesehen habe das ISIS-Kalifat „null Auswirkungen“, so Baghajati.

Tarafa Baghajati Porträt

kathbild/Franz Josef Rupprecht

Tarafa Baghajati

Al-Baghdadi, der nicht öffentlich auftritt, sei außerdem auch innerislamisch niemandem bekannt, womit es absurd und auch unmöglich sei, ihm zu folgen, sagt Baghajati. Er rechnet nicht damit, dass österreichische Muslime sich durch den Aufruf angesprochen fühlen könnten.

Auf arabischen Facebook-Seiten seien die Reaktionen jedenfalls spöttisch, erzählt Baghajati von seinen Facebook-Freunden. Viele hätten sich einen Bart gemalt, einen Turban aufgesetzt und verkündet, sie seien jetzt der neue Kalif und alle müssten ihnen ab sofort folgen.

Politische Brisanz des „Post-Alkaida-Zeitalters“

Politisch ist die Sache der Einschätzung Baghajatis zufolge allerdings nicht zu unterschätzen. Weil die Extremisten an physischem Boden gewinnen würden, so der gebürtige Syrer. In der derzeitigen instabilen Lage in Syrien und im Irak könnten solche „verrückte Ideen“ leichter Fuß fassen. Wobei dabei nicht so sehr „der Westen“ in Gefahr sei, sondern die Muslime selbst, weil auch die Extremisten sich zunehmend gegenseitig als „Ungläubige“ bezeichneten.

Als „Franchise-Unternehmen“ bezeichnet Baghajati die Al-Kaida-Ableger wie ISIS, die die Mutterorganisation de facto längst abgeschafft hätten. Begünstigungen für das derzeitige Phänomen sieht der Diplom-Ingenieur wesentlich in der internationalen Politik - und vor allem im Versagen der USA im Kampf gegen den Terrorismus. Aber auch das lange Zuschauen Europas in Syrien trug seiner Ansicht nach zur Bildung des Nährbodens für die Extremisten bei.

Ungleichgewicht in europäischer Politik

Denn während man für die Krise in der Ukraine viele Sitzungen abgehalten habe, habe man seitens der europäischen Politik in Syrien nur „kosmetische Maßnahmen“ gesetzt. Baghajati verweist dabei auf die Vernichtung der chemischen Waffen des Assad-Regimes durch Experten, während nur drei Kilometer weiter entfernt die Menschen verhungerten - quasi vor deren Augen. Auch der Irak sei für den Westen strategisch wichtiger als Syrien, daher gingen jetzt auch die Wogen höher, mutmaßt Baghajati.

Muslimische Männer demonstrieren gegen ISIS mit Plakaten

Reuters/Robin van Lonkhuijsen

Weltweit nahmen am Wochenende Muslime an Demonstrationen gegen das Kalifat und gegen die Gewalt teil. Hier Muslime aus den Niederlanden mit einem Plakat mit der Aufschrift „Islam = Freiheit“

Lehre für die Muslime

Für Muslime ist die Auseinandersetzung mit den islamischen Extremisten keine einfache Aufgabe. Denn einmal mehr sind sie mit der angeblichen Gefährlichkeit des Islams konfrontiert. Für Baghajati bedeutet das in erster Linie einen innerislamischen Diskurs. Extremistische Gedanken müssten zurückgewiesen werden - vor allem durch theologische Argumente.

Baghajati fordert aber auch von der Politik ein radikales Umdenken. Denn das derzeitige Verhalten führe in der islamischen Welt zu Verschwörungstheorien - die Baghajati nicht teilt - wonach der Westen ohnehin nur warte, bis sich die Terroristen gegenseitig umbringen. Militärisches Eingreifen hält er aber grundsätzlich für falsch - es müssten politische Lösungen gefunden werden.

Nina Goldmann, religion.ORF.at

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