Buchbeitrag: Mensch-Tier-Beziehung und Tierschutz im Islam
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Buchempfehlung: Tier-Mensch-Ethik
Herausgeber Edith Riether, Michael Noah Weiss
Lit Verlag, 232 Seiten, 24,90 Euro
Als Leseprobe der Buchbeitrag von Tarafa BAGHAJATI:
Eingangs möchte ich die Wichtigkeit dieser Vortragsreihe betonen, insbesondere was den Islam und die Muslime in Österreich und Europa betrifft. Leider wird unsere Religion sehr oft auf einige Äußerlichkeiten reduziert; dazu kommen die allgemeine Skepsis und Abwehrhaltung gegenüber allem, was „islamisch“ ist. Aus einer Studie der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft (SWS, siehe Kurier vom 8. Jänner 2011), die im November und Dezember 2010 durchgeführt wurde, geht hervor, dass etwa ein Drittel der Befragten angibt, dass das „Islamische Religionsbekenntnis ein Hindernis ist, um von Österreichern akzeptiert zu werden“, und für weitere 42% ist es immerhin ein „geringes Hindernis“. Es würde den Rahmen dieses Beitrages bei Weitem sprengen, wollten wir hier im Detail versuchen, solche Ergebnisse zu analysieren. Eines ist aber unumstritten: „Der Mensch ist der Feind dessen, was er nicht kennt“. Und das kommt in Sachen Islam in Europa voll zum Tragen!
Die islamischen Vorstellungen zu Themen wie Umweltschutz, Wirtschaftsethik, Umgang mit älteren oder behinderten Menschen, medizinische Ethik und Tierschutz werden in der europäischen Öffentlichkeit nicht wahrgenommen. Uns Muslimen ist es bisher nicht gelungen, an den wissenschaftlichen, gesellschaftspolitischen und kulturellen Diskursen in Europa anzuknüpfen. Es ist dringend an der Zeit, sich stärker darum zu bemühen.
Bevor wir zum Tierschutz im Islam übergehen, ist es unerlässlich, einleitend auf die Beziehung zwischen Mensch und Tier im Islam einzugehen. Die erste, authentische und unbestrittene Quelle im Islam ist der Koran, und wer diesen liest, wird immer wieder auf Namen von Tieren, Tiergeschichten und auch auf Beispiele mit Tieren stoßen. Mensch und Tier werden immer untrennbar voneinander angeführt. Die Kuh, das Vieh, die Bienen, die Spinne, die Ameisen und der Elefant sind Namen von Suren im Koran, wobei in der jeweiligen Sure Erzählungen von diesen Tieren vorkommen. Die Vollkommenheit der Schöpfung Allahs (das arabische Wort für Gott) wird wiederholt anhand von wunderschönen Beschreibungen von Tieren dargestellt. Die Schönheit der Kamele, der Instinkt der Bienen, die Weisheit der Ameisen, die Treue der Vögel und die Rettung durch den Wal begleiten uns im Koran als Erklärung der Schöpfung und als Bestandteil von Prophetengeschichten. Noch mehr: Der Koran bezeichnet die Tiergattungen als „Umma“, ein Wort das in der Regel für eine sehr große Gemeinschaft von Menschen verwendet wird.
„Und Es gibt kein Getier (Arabisch „Dabba“) auf Erden und keinen Vogel, der auf seinen zwei Schwingen dahinfliegt, die nicht Gemeinschaften wären so wie ihr.“
Gemeinschaften (Arabisch Umam) wie „ihr Menschen“, heißt es in Sure 6, „das Vieh“ in Vers 38! Weiters wird die enorme Bedeutung von Nutztieren für uns Menschen ebenfalls in vielen Koranstellen ausgedrückt. Der Mensch stellt im Koran die vollkommenste Schöpfung Allahs dar. Daher wurde ihm die Sachwalterschaft über die Erde überantwortet (Khalifatu-Llah fi al Ard, Sachwalter Allahs auf der Erde). Eigenschaften wie „Würde“ kommen nur beim Menschen vor: „laqad karramna bani Adam„ Nun haben wir fürwahr den Kindern Adams Würde verliehen“ (Koran, Sure 17: „Die Nachtwanderung“ in Vers 70). Leider wird das Wort „karama“ in fast allen Koranübersetzung mit Ehre oder Huldigung übersetzt. Der feinfühlige Koranübersetzer und -interpret Muhammad Assad hat aber hier das richtige Wort „Würde“ gefunden, was ohne Zweifel am ehesten die koranische Bedeutung wiedergibt.
Der Mensch ist also gemäß dem Koran dem Tier gegenüber privilegiert, aber auch verantwortlich. Es gilt das Privileg, dass dem Menschen erlaubt ist, Nutztiere zu halten, diese für sein Wohl und den Transport zu nützen und auch manche Arten von Tieren zu verzehren. Die Verantwortung liegt darin, für das Wohl der Tiere zu sorgen. Der Mensch besitzt keine Tiere, sondern ist lediglich Sachwalter, der Verantwortung für sie trägt. Es gehört auf keinen Fall zu den Vorrechten des Menschen, Gottes Geschöpfe körperlich zu misshandeln oder auch nur ihnen etwas vorzumachen, ohne es einzulösen. Der berühmte Hadith-Forscher Buchari etwa hat einen Bericht über den Propheten Muhammad nicht in seine Sammlung an Hadithen (Überlieferungen) aufgenommen, weil der Überlieferer der Erzählung seiner Ziege ein verlockendes Futter in der Hand vorgaukelte, obwohl seine Faust leer war. Dieses Verhalten genügte Buchari, die Glaubwürdigkeit des Mannes anzuzweifeln. Denn er sagte sich, dass wer sein Tier beschwindele, nicht das Vertrauen verdiene, um aus seinem Munde eine Überlieferung aus dem Leben des Propheten anzunehmen. Zu einem untadeligen Charakter gehört der Respekt vor den Tieren und eine Behandlung, die ganz ähnliche ethische Maßstäbe anlegt wie im Umgang mit Menschen. Jede Verfehlung gegenüber Tieren gilt als Verfehlung gegenüber dem Schöpfer selbst. In der islamischen Theologie wird das Gebot einer partnerschaftlichen Beziehung zwischen Mensch und Tier im Sinne des Schöpfers herausgestrichen.
Das Stichwort „Hadithe“ öffnet ein weites Feld weiteren Materials, aus dem die islamische Theologie schöpft. Diese auch als „Sunna“ bezeichnete vorbildliche Lebensweise des Propheten Muhammad bildet die zweite wichtige Quelle im Islam und beinhaltet die überlieferten Zeugnisse über Begebenheiten aus dem Leben des Propheten. Die Einzelereignisse (Hadith) geben die Lebensweise, bestimmte Handlungen, Empfehlungen, Verneinungen etc. wieder und gelten Muslimen als vorbildhaft. Für Muslime sind sie eine Art praktische Übersetzung des Koran in das tägliche Leben. Auch hier stoßen wir auf eine Fülle von Geschichten, die uns unserem Thema „Tierschutz im Islam“ näher bringen.
„Einer Prostituierten werden alle Sünden vergeben weil sie einem durstigen Hund das Leben rettete.“ Der Hund wird ein Tor zum Paradies, die Anstrengung, um sein Leben zu erhalten, ein Weg zur Sündenvergebung! Einer anderen Frau wird die Strafe Gottes angekündigt, weil sie eine Katze einsperrte, ihr weder Nahrung gab, noch sie laufen ließ! Als der Prophet Leute traf, die Kücken von der Nähe des Muttervogels wegtrugen, befahl er sofort, dem Tier dessen „Kinder“ zurückzugeben. Auch bei der Kindererziehung spielten die Haustiere, in einer Erzählung ein kleiner Vogel Namens „Numair“, eine Rolle. Das Kind hieß „Umair“, danach gereimt war der Name seines Vögelchens, sodass der Prophet Muhammad immer wenn er „Umair“ traf, ihn über seinen „Numair“ fragte. Als Numair starb, trauerte der Prophet mit Umair zusammen. In den Hadithen wird aber auch jener Fall festgehalten, da ein Haustier als Nutztier geschlachtet werden soll: „Und wenn Ihr ein Tier töten solltet, dann auf leichtest mögliche Art, ein scharfes Messer soll vorbereitet sein und dem Tier sollte es bequem gemacht sein“.
Aus diesen Geschichten lässt sich ableiten, dass im damaligen Arabien Tierethik in der Zeit vor dem Islam keine große Rolle spielte, denn immer wieder wird ein ethisch bedachter Umgang mit Tieren eingefordert. Über das Wohl der Tiere wurde in vorislamischer Zeit nicht weiter nachgedacht. Sie waren höchstens in der damaligen Literatur, vor allem in den mündlich weitergegebenen Gedichten, zur malerischen Alltagsschilderung willkommen. Kamele, Pferde und Weidetiere werden in diesen Texten erwähnt und oft poetisch besungen. Wütend war der Prophet, als er sah, dass ein Mann sein Tier (ein Kamel oder einen Esel) im Gesicht brandmarkte. „Willst du, dass Allah dich am Tag des Jüngsten Gerichts im Gesicht brandmarkt?“, fragte der Prophet ermahnend und verbot mit dieser klaren Zurechtweisung das Brandmarken von Tieren im Gesicht von nun an für immer. Das Verbrennen von Ameisen wurde verboten. Auch Tiere, die Menschenleben bedrohen, dürfen nie gequält werden; mit einem einzigen Schlag sollte man sie, wenn notwendig, töten. „Bekomme ich die Belohnung Gottes, wenn ich mich um meine Tiere sorge?“, fragte ein Gefährte des Propheten. Die prompte Antwort gilt wieder als eine gültige Regel für alle Zeiten: „Jede Versorgung des Lebewesens ‚Tier‘ ist eine gute Tat“.
Auch Aussagen der rechtgeleiteten Kalifen, der vier direkt auf den Propheten folgenden Herrscher, zeigen die Aufmerksamkeit auf, die der richtige Umgang mit Tieren genoss. Als Beispiel kann die Aussage des zweiten Kalifen Omar ibn Al Khattab angeführt werden, der sagte: „Allah wird Omar fragen, auch wenn ein Tier an einem sehr entfernten Fluss im muslimischen Reich verendet“. Er wollte damit die hohe Verantwortung des Regierenden für die Schöpfung betonen. Wieder eine Geschichte, die bis heute für Entscheidungsträger eine gültige Lehre sein kann. Der für seine Gerechtigkeit und hohe ethische Gesinnung bekannte umayyadische Kalif Omar Ibn Abdulaziz erließ ein offizielles Dekret, das eine Überanstrengung von Tieren verbietet. Dies mag eines der ersten staatlich verordneten Tierschutzgesetze überhaupt darstellen. In diesen Jahren wurden als religiöse Stiftung Pflege- und Versorgungsheime für Tiere eingerichtet, in denen vor allem Nutztiere, die zu alt für die Arbeit gewordene waren, ihre letzten Tage komfortabel verbringen konnten.
Aus den religiösen Primärquellen des Islam, dem Koran und der Sunna, aber auch aus den Erzählungen in Sekundärquellen haben muslimische Gelehrte einige Regeln für den Umgang mit Tieren abgeleitet. Als unumstritten gelten folgende Regeln:
1) Verbot des Tötens von Tieren. Ausnahmen sind notwendiger Verzehr oder der Schutz der eigenen Gesundheit. Aber auch hierbei muss auf artgerechte Tierhaltung und Artenschutz geachtet werden.
2) Verbot der Benützung von Tieren als Zielscheibe bei Schießübungen.
3) Verbot von Schau- und Tierkämpfen. Dies hat sich allerdings leider nicht überall in der islamischen Welt durchgesetzt. In Afghanistan etwa finden sich hierzu Traditionen, die älter sind als der Islam.
4) Beim Schächten von Nutztieren muss ein scharfes Messer verwendet werden, um Qualen zu vermeiden. Kein Tier soll bei der Schächtung eines anderen Tieres zusehen müssen, um die Tiere nicht zu ängstigen.
5) Verbot der Tierquälerei jeglicher Art
6) Verbot der mutwilligen Änderung der Schöpfung, also etwa an der Erscheinung des Tieres, wie die erwähnte Brandmarkung im Gesicht.
7) Zwingendes Gebot artgerechter Tierhaltung. So ist es z.B. verboten, Weidetiere mit tierischen Futtermitteln (oder gar Produkten aus Tierkadavern) zu ernähren.
Natürlich sind diese Punkte als allgemeine Richtlinien zu sehen. Die Muslime und ihre Gelehrten müssen aber für eine richtige Umsetzung zum Wohle von Mensch und Tier sorgen und auf alle eventuell neu auftretenden Fragen eine zeitgemäße Antwort in diesem Sinne finden. Eine Fülle von neuen Herausforderungen bringt die Notwendigkeit, profunde Antworten zu entwickeln: Wie sieht eine muslimische, theologisch schlüssig begründete Position in Bezug auf Tierversuche aus? Wenn die Änderung der Schöpfung verboten ist – wie sieht eine Stellungnahme zu der Gepflogenheit aus, dass bei manchen Hunderassen die Ohren abgeschnitten werden? Und aus einer ähnlichen Grundüberlegung: Ist das Kastrieren von Katzen aus islamischer Sicht hinnehmbar? Ist das Einschläfern von Tieren immer erlaubt? Inwieweit sollte Tierethik auch einen Platz im Strafrecht einnehmen? Wie umgehen mit der Hormonbehandlung von Tieren zur rascheren Nahrungsmittelherstellung? Wie ist es um Organtransplantate tierischer Herkunft für Menschen bestellt (wenn die Tiere dazu getötet werden müssen)? Wie schaut es mit Gentechnik bei Tieren aus?
Es ist wichtig zu erwähnen, dass es - islamisch gesehen - nicht nur Sache der muslimischen Gelehrten ist, darüber zu reden, sondern dass alle Fachleute unabhängig von ihrer religiösen Überzeugung angehört werden sollten. Ein Gelehrter, der von Tieren keine Ahnung hat, würde sich der Lächerlichkeit preisgeben, wenn er über aktuelle komplexe Themen ohne Beratung durch Tierärzte und sonstige Fachleute eine Fatwa (theologisches Gutachten) erstellte. Es gilt hier die theologische Regel, dass muslimische Gelehrte auf die Hilfe von Experten zurückgreifen sollen, wenn ihnen die nötige Sachkenntnis fehlt.
Ohne den Anspruch, die bestmögliche Antwort bieten zu können, versuche ich hier in Kürze islamische Antworten auf die oben erwähnten Fragen zu geben, möglichst harmonisch mit den oben angeführten Quellen und auch unter Einbeziehung von Meinungen und Schriften von zeitgenössischen Gelehrten:
Tierversuche: Hier ist zu unterscheiden zwischen medizinischen Tierversuchen, die Menschenleben auch nachweislich durch neue Erkenntnisse retten würden, und anderen Intentionen, vor allem im Kosmetikbereich, die kostengünstig schnellere Ergebnisse in der Produktentwicklung mit sich bringen. Beim ersten bewegen wir uns im Bereich des Erlaubten (Halal) und beim zweiten nähern wir uns dem Bereich des Verbotenen (Haram). Generell gilt: Erlaubt ist etwas, solange es der Ernst der Situation und die Gesundheit der Menschen erfordert (vor allem im wissenschaftlichen, medizinischen Bereich!). Geht es jedoch eher um Luxusgüter, dann ist dem Wohl des Tieres eindeutig Vorrang zu geben und auf Experimente mit Tieren zu verzichten!
Organtransplantation von Tier zu Mensch: Wenn dies eine Lebensrettung bedeutet oder es um die Wiederherstellung eines Sinnesorgans geht, dann ist Organtransplantation eindeutig erlaubt.
Einschläfern von Tieren: Hier sind ehrliche Experten und Tierärzte gefragt. Alleine der Umstand, dass Haustiere lästige Gewohnheiten entwickeln (z.B. einen unregelmäßigen Wach-Schlafrhythmus im Alter) macht aus ihnen noch keine „Tötungskandidaten“. Wer junge Tiere hält, muss auch in späteren Jahren für sie da sein. Eine Ausnahme besteht dann, wenn das Tier eindeutig leidet und das weitere Leben schmerzvoll wäre.
Änderung der Schöpfung: Prinzipiell ist - wie schon geschildert - jede Änderung verboten. Doch besteht hier angesichts mancher praktischer Entwicklungen noch großer Diskussionsbedarf. Zum Beispiel ist beim Thema Katzenkastration anzunehmen, dass diese bei einer näheren Betrachtung der Situation – insbesondere in dichtbesiedelten Gebieten und Städten – durchaus als erlaubt bis sogar als empfehlenswert angesehen werden könnte, da die positiven Folgen für Tier und Mensch in diesem Fall nicht zu bestreiten sind.
Auch verschiedenste Arten des Kupierens (Abschneiden), also das operative Entfernen (Amputation) von einigen Schwanzwirbeln bei Pferden und Hunden, das Kürzen des Schwanzes bei Schafen und Schweinen, die modebedingte Verkleinerung von Ohren bei Hunden, das Verstümmeln von Schnäbeln beim Geflügel, das Enthornen von Rindern sowie das Entfernen von Katzenkrallen und Stimmbändern fallen durchaus unter das Kapitel „Änderung der Schöpfung“. Hier sind die geltenden Gesetze in den meisten EU-Ländern Islam-konform: Verboten außer im Falle medizinischer Notwendigkeit. Absolut verboten sind solche Handlungen, die ausschließlich aus Modeerscheinungen vorgenommen werden und ohne jegliche rationale Begründung durchgeführt werden.
Gentechnik bei Tieren: Hier muss je nach Situation, Begründung, Sinn und Zweck aber auch ethischen und wissenschaftlichen Konsequenzen und Dimensionen entschieden werden. Eine Beurteilung kann nur situationsbedingt und keinesfalls pauschal abgegeben werden.
Und nun zu dem meist diskutierten Thema, wenn es um Islam und Tierschutz geht, und zwar das Schächten:
Im österreichischen Tierschutzgesetz, das am 1.1.2005 in Kraft getreten ist, wurden Ausnahmen für Juden und Muslime vorgesehen. Nach langen Diskussionen und Verhandlungen der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) und der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) mit den verschiedensten behördlichen und politischen Stellen in Österreich wurden Kompromisse beschlossen. Das Schächten, wie es in der jüdischen und muslimischen Religion vorgeschrieben ist, wurde erst 1998 vom Verfassungsgerichtshof behandelt und den beiden Religionsgemeinschaften, diese Schlachtmethode durchführen zu können, garantiert. Auch die EU spricht in einer Richtlinie den beiden Glaubensgemeinschaften dieses Recht zu. Schächten bei Juden und Muslimen steht in keinem Widerspruch zum Tierschutz. Hier die Stellungnahme der Islamischen Glaubensgemeinschaft vom 13.12.2003 an welcher der Autor dieses Beitrages mitgewirkt hat:
Schächten bei Juden und Muslimen steht in keinem Widerspruch zum Tierschutz
Vom Verfassungsgerichtshof erst 1998 ausdrücklich bestätigt, soll das Schächten auch in das neue bundeseinheitliche Tierschutzgesetz Aufnahme finden
Dem Tierschutz stärkeres gesellschaftspolitisches Gewicht zu geben, ist von Seiten der Islamischen Glaubensgemeinschaft zu begrüßen, da ein verantwortlicher Umgang mit der Schöpfung ein hohes Gebot des Islam darstellt, das artgerechte Tierhaltung vor rein wirtschaftliche Interessen stellt.
Der Tierschutzgedanke darf aber nicht aus Mangel an genügender sachlicher Information zur Diskriminierung von religiösen Minderheiten führen. Für Juden und Muslime ist das Schächten ein Gebot ihrer Religion und somit zwingend vorgeschrieben.
Wir könnten es daher nicht akzeptieren, in unserem Recht auf das Schächten eingeschränkt zu werden, das erst 1998 durch die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 15.394/1998) unter Hervorhebung der Tatsache, dass dieses weder mit der öffentlichen Ordnung, noch mit den guten Sitten in Widerspruch stehe, bestätigt wurde.
Die jetzt vorliegende Fassung des zukünftigen Tierschutzgesetzes ist in sich widersprüchlich, was die Behandlung des Schächtens betrifft. Denn man kann nicht einerseits das Recht der betreffenden Religionsgemeinschaften betonen, weiterhin Tiere zum Verzehr zu schächten und andererseits dieses Recht dahingehend einschränken, dass das Schächten nur unter Betäubung und tierärztlicher Aufsicht stattfinden dürfte. Dies wäre dann kein Schächten mehr und käme einem Schächtverbot gleich.
Das Schächten unterliegt seitens des Islam strengen Regeln, an deren Einhaltung in Österreich die Islamische Glaubensgemeinschaft größtes Interesse hat und dies durch die Ausstellung von Zertifikaten zum Schächten regelt. Um kein Tier zu quälen, müssen folgende Bedingungen eingehalten werden:
- Fachmännische Ausübung dieser Praxis durch eigens (zuerst am toten Tier) geschultes Personal
- Gewährleistung, dass der professionell gesetzte einmalige Schächtstreich zur sofortigen Tötung des Tieres führt. Wobei die Unterbindung der Blutzufuhr zum Gehirn die schnellste Art der Betäubung garantiert.
- Verwendung von geprüftem und bestens geeignetem Werkzeug
- Beste Behandlung des Tieres bis unmittelbar vor der Schächtung: Vermeidung belastender ungebührlich langer Transporte, Fütterung und Tränkung bis zuletzt, Stressvermeidung durch Ersparen des Anblicks der Schlachtung anderer Tiere
- Bewusstmachung der Verantwortung, die mit der Schlachtung einhergeht: Keine Schlachtung oder sonstige Tötung eines Tieres, wenn es nicht anschließend auch als Nahrung dient
- Kein überproportionaler Fleischkonsum: Dieses ist nur ein Teil der Nahrung. Die geforderte Ausgewogenheit der Ernährung gebietet, hier Maß zu halten und von übermäßigem Konsum Abstand zu nehmen.
Der zuerst angeführten Bedingung der „fachmännischen“ Ausführung kommt besonderes Gewicht zu. Denn generell ist im Islam jede verantwortungsvolle Tätigkeit mit einer fachlichen Qualifikation verbunden. Denn es heißt in den islamischen Quellen: „Wenn jemand von euch eine Arbeit durchführt, dann soll er diese Arbeit bestmöglich erledigen“ (Hadith, Überlieferung vom Propheten Muhammad, hier sinngemäß wiedergegeben). Da diese Arbeit im Falle des Schächtens noch dazu mit Lebewesen in direktem Zusammenhang steht, so wiegt die Verantwortung umso schwerer. In einem anderen Hadith lesen wir dazu: „Wenn einer von euch schächten möchte, dann sollte er sein Messer schärfen und es (sein Tier) ruhig stellen.“. Die das Schächten betreffenden Bestimmungen legen so größten Wert auf eine Vorgangsweise, die dem Tier Leiden erspart.
Daraus geht klar hervor, dass das Schächten eine besondere Befähigung bei der Durchführung erfordert. Sich allein auf die Religionszugehörigkeit zu beziehen, kann als fachliche Qualifikation allein nicht ausreichend sein. Aus Sicht der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich sollten Muslime, die Tiere schächten, mindestens eine der folgenden Voraussetzungen erfüllen:
- eine Ausbildung als Fleischhauer
- ein vergleichbares Fachwissen, wie es beispielsweise durch den persönlichen Hintergrund entsteht, falls jemand aus einer ländlichen Gegend stammt, in der es üblich ist, gleichsam wie in einer Lehre durch Anschauung, Hilfstätigkeit und Erfahrung eine geeignete Qualifikation zu erwerben.
In unserer Funktion als offizielle religiöse Vertretung der in Österreich lebenden Muslime nehmen wir die Aufsicht über das fachmännische betriebsmäßige Schächten wahr, um zu gewährleisten, dass die islamischen Regeln im Sinne des Tierschutzgedankens eingehalten werden. Daher können wir durch die Praxis bestätigen, dass von einem verantwortungsbewussten Umgang und genügender Sachkenntnis bei den die Schächtungen vornehmenden Personen auszugehen ist. In der Regel ist es das Personal von fleischerzeugenden und vertreibenden Betrieben, die das Schächten berufsmäßig ausführen.
Wir sind aus religiösen Gründen am Tierschutz interessiert und würden das Schächten nie, ohne an diesen Auftrag zu denken, durchführen. Daher sehen wir es mit großer Besorgnis, dass das Schächten ohne Betäubung als unvereinbar mit dem Tierschutz dargestellt wird. Dabei bestätigen uns ärztliche Gutachten und nicht zuletzt die jahrhundertelange Erfahrung, dass die Schächtmethode absolut kompatibel mit anderen Methoden ist. Wir sehen sogar einen ausgesprochenen Vorteil darin, dass das Tier durch das fachmännisch ausgeführte Schächten gleichzeitig betäubt und zu Tode gebracht wird.
In der Öffentlichkeit mag sich „Betäubung“ vielleicht anhören, als handele es sich dabei um eine vor Operationen gebräuchliche Anästhesie. In Wirklichkeit sind die Betäubungsmethoden – Elektroschock, Langhirnstab, Bolzenschuss, usw. aber schmerzhaft und verzögern den Schlachtvorgang. Die Bilder von an den Füßen aufgehängten Rindern, die aus der Narkose erwachten und dann unter großen Schmerzen langsam zu Tode kamen, bildeten erst kürzlich den Hintergrund eines Skandals in Oberösterreich. Die Betäubung wurde ja auch nicht aus Tierfreundlichkeit eingeführt, sondern um im Zuge der Industrialisierung eine effizientere Abwicklung der Massenschlachtung zu ermöglichen.
Will man jetzt das Recht auf das Schächten verbieten, so ist dies ein Eingriff in die innere Autonomie gesetzlich anerkannter Religionsgemeinschaften, täuscht den Tierschutzgedanken dazu nur vor und steht nicht zuletzt auch im Widerspruch zur EU Richtlinie 93/119/EG, die das Schächten für die Religionsgemeinschaften garantiert (www.derislam.at).
Es soll hier betont werden, dass das Thema Tierschutz kein geeignetes Wahlkampfthema ist. Leider wird von der extremen Rechten das Thema Schächten oft missbraucht, um gegen Juden und Muslime Stimmung zu machen. Ohne einen pauschalisierenden Vergleich ziehen zu wollen, muss daran erinnert werden, dass Tierschutz im Nationalsozialismus antisemitisch, biologistisch und rassistisch begründet und propagiert wurde. Viele NS-Führer, von Adolf Hitler bis Heinrich Himmler und Hermann Göring, gerierten sich öffentlich als die obersten Tierschützer.
Das erste deutschlandweite Tierschutzgesetz gehörte zu den zentralen frühen Gesetzgebungsmaßnahmen der Anfangszeit des NS Regimes und wurde intensiv propagandistisch begleitet. Mehrere Tierschutz-Gesetze im deutschsprachigen Raum gehen maßgeblich auf das in der NS-Zeit verabschiedete Konzept zurück. Das „Gesetz über das Schlachten von Tieren“ vom 21. April 1933 gebot, warmblütige Tiere beim Schlachten vor Beginn der Blutentziehung zu betäuben und diente offensichtlich als Mittel zum Entzug des Lebensunterhalts vieler jüdischer Metzger. Heute wird vor allem gegen Muslime und nicht gegen Juden agitiert, aber sehr oft ist selbst die Wortwahl deckungsgleich.
Abschließend möchte ich mit einem Hadith (Überlieferung des Propheten) enden: „Allah ist „rafiq“, behutsam, und liebt Behutsamkeit bzw. Zärtlichkeit in allen Dingen.“
Dieser Grundsatz gilt nicht nur für die zwischenmenschlichen Beziehungen, sondern auch für unseren Umgang mit Tieren und allen anderen Geschöpfen.
Siehe auch:
http://derstandard.at/1353207279316/Religionen-haben-ueber-Jahrtausende-die-Menschen-gepraegt