Verwirrung um islamische Begriffe
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Gastkommentar von Tarafa Baghajati in der Furche, Juni 2017
Nun sind der Islam und die Muslime in Österreich endgültig angekommen. Islamische Positionierungen und deren Ausloten um angemessene Begrifflichkeiten werden bis hin zum Boulevard debattiert. Musliminnen und Muslime tragen ihre Meinungsdifferenzen dabei auch öffentlich vor. Wie und welche theologische Begriffe im "nicht muslimischen" Umfeld so verwendet werden können, dass dies zur Aufklärung und nicht zur weiteren Verwirrung beiträgt ist kein akademischer Diskurs mehr.
Was ist eigentlich passiert und wozu die ganze Aufregung um den Beschluss des Beratungsrates der IGGÖ (Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich)? Natürlich braucht jede religiöse Gemeinschaft auch ein Fachgremium, das für die theologischen Belange verantwortlich ist. Insbesondere braucht es Antworten für neue Fragestellungen, die aus neuen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen entstehen. Aber benötigt das Thema Kopftuch wirklich eine religiöse Beratung? Sind hier Neuigkeiten eingetreten? Haben muslimische Frauen danach gefragt?
Seit über zwanzig Jahren argumentiert die IGGÖ, dass die Haarbedeckung der Frauen eine religiöse Praxis ist, der Begriff „Gebot“ wurde ebenfalls immer wieder verwendet. Sie bezieht sich dabei auf einen weitgehenden Konsens unter Gelehrten von einst und heute, sunnitisch wie schiitisch. Unmissverständlich und bei jeder Gelegenheit wurde betont, dass dies die alleinige und selbstständige Entscheidung der Frau ist und somit der Begriff „Selbstbestimmungsrecht der Frau“ auch innermuslimisch positiv etabliert. Im gleichen Atemzug wurde betont, dass eine nicht kopftuchtragende Muslimin nicht nur genauso zur muslimischen Gemeinschaft gehört, sondern sie auch eine gute Muslimin sein kann. Die Haarbedeckung wurde nie als ein Glaubensdogma und schon gar nicht als eine Doktrin hingestellt.
Hier hebt sich die Haltung der IGGÖ positiv von jenen ab, die das Kopftuch am liebsten als das alleinige Merkmal einer muslimischen Frauen sehen wollen und bevormundend den Frauen das Gefühl vermitteln, ohne Kopftuch nicht dazugehören zu können. Hier würde gar in den Raum gestellt, eine solche Frau sei irgendwie „sündhaft“.
Genau in diesem Punkt entstand nach dem Papier des Beratungsrates Verwirrung, weil im Titel zunächst von einem "Kopftuchgebot" die Rede war. Jedes europäische Ohr würde ohne viel weiter zu lesen an eine dogmatische Verpflichtung denken. Assoziationen zu den Zehn Geboten und ihrer absoluten Verbindlichkeit tun sich auf. Dazu wird bei vielen der christliche Sündenbegriff aktiviert und der Gedanke an die päpstliche Übermacht im Mittelalter in Erinnerung gerufen. Dass ein Beschluss über ein Frauenthema von lauter Männern, an der Spitze der Mufti, unterzeichnet worden war, sorgte zusätzlich für Kopfschütteln.
Bei einem informellen Treffen mit einem Mitglied des Beratungsrates wurde die Situation offen angesprochen. Welcher Eindruck muss entstehen, wenn als erste öffentliche Fatwa eine zum Kopftuch erscheint? Kann man den Islam einfach als eine Religion von Geboten und Verboten präsentieren? Werden wir mit einer solchen Methodik unserer Religion gerecht? Sind wirklich halal - erlaubt und haram - verboten so glasklar, dass eine Antwort mit ja oder nein immer möglich ist? Ist Sünde gleich Sünde im Islam? Oder gibt es da nicht wichtige Abstufungen von sehr kleinen menschlichen Verfehlungen über Übertretungen bis hin zur schwerwiegenden Taten, die womöglich sogar ein Verbrechen darstellen können?
Beim Kopftuch muss festgehalten werden, dass auch in der konservativsten Auslegung ein Nichttragen bei niemandem als eine große Verfehlung oder gar eine große Sünde, also "kabira" bezeichnet wird. Um beim äußeren Erscheinungsbild zu bleiben ein "männliches" Beispiel. Sucht ein muslimischer Mann in der klassischen theologischen Literatur Auskunft über die Stellung des Barttragens, so findet er unzählige theologische Belege und darauf bauende Fatwas, dass das komplette Rasieren des Barthaares nicht erlaubt, also haram sei. Gleichzeitig ist das kaum ein Thema. Wir finden Imame und sogar Muftis mit rasiertem Bart, ohne dass sie als "Sünder" oder auch nur Träger einer Verfehlung und somit nicht glaubwürdig bezeichnet werden. Die Oberschenkel des Mannes sollten ebenfalls bedeckt werden. Doch muslimische Sportler mit "nackten" Oberschenkeln erregen keinen Anstoß. Warum ist es bei den Frauen immer anders? Und warum müssen Diskurse fast immer auf den Köpfen der Frauen geführt werden?
Natürlich ließe sich hier anmerken, zum Kopftuchtragen könne man immerhin zwei Koranverse (24:31 und 33:59) anführen. Sollte jemand der Meinung sein, dass diese Stellen nicht unbedingt eine Haarbedeckung verlangen, so würde sich diese Meinung noch im Rahmen des Islams bewegen. Ehe jemand von einem nicht zu diskutierenden Gebot spricht, sollte genau dies reflektiert werden. Um dies zu verdeutlichen, sei an Bereiche der Glaubenspraxis erinnert, für die der Begriff „Gebot“ viel eher zutrifft. Falls jemand die fünf rituellen Gebete im Islam als "Pflicht“ oder „Glaubenssäule" leugnete, das Fasten im Ramadan als islamisch unwichtig bezeichnete oder das Essen von Schweinefleisch oder das Trinken von Alkohol als religiös zu legitimieren ansähe, dann könnte sich diese Person zwar auf Meinungsfreiheit berufen und auch auf Glaubensfreiheit, würde sich allerdings mit diesen Ansichten nicht mehr innerhalb des Islams bewegen. Wie erginge es nun einem Muslim oder einer Muslimin, die die „Kopftuchverse“ nicht als absolute Verpflichtung zur Haarbedeckung liest? Gälte diese Person als "Leugner/in der Schrift Allahs"? Ich meine nicht! Wer außerhalb des muslimischen Mainstreams in dieser Frage denkt, ist nicht gleich ein Apologet. Dies ist umso mehr in einer Zeit zu unterstreichen, wo das mutwillige Deklarieren anderer zu „Ungläubigen“ schreckliche Folgen zeigt.
Wir brauchen innermuslimische Fähigkeit zu Pluralismus und Denkfreudigkeit statt Profilierungssucht. Als solche kommen die Belehrungen muslimischer Universitätsprofessoren an den Mufti der IGGÖ hinüber. Es ist legitim, Quellen aus dem 9. Jahrhundert zu verwenden. Man muss auch nicht just die eine Lieblingsthese eines US-Professors zitieren, um ernst genommen zu werden. Natürlich müssen in der islamischen Theologie auch alte historische Texte herangezogen werden. Und natürlich darf ein Mufti die Mainstream-Meinung samt Belegen verkünden. Festzuhalten ist allerdings folgendes: Für die Fatwa gab es weder eine muslimische Anfrage, noch eine Notwendigkeit. Zweitens lag die Problematik in der Schwäche des Textes bei der Formulierung und in der Art und Weise der Kommunikation. Drittens hat der Beratungsrat ausschließlich eine beratende Funktion. Er ist keinesfalls eine Art Kontrollinstanz wie ein "Wächterrat".
Wir müssen als Muslime vor allem klarstellen, dass der Konflikt um dieses Stück Stoff in keiner Weise theologischer, sondern eine gesellschaftlicher Natur ist. Wenn muslimische Frauen es aus ihrer religiösen Überzeugung heraus tragen möchten, dann ist ihre Religionsfreiheit zu respektieren und jede Behinderung am Karrierewege ist eine eindeutige Diskriminierung, die in einer offenen und freien Gesellschaft keinen Platz bekommen dürfte und schon gar nicht in den Gesetzestexten und Verordnungen. Ein gelassener Umgang mit dem Thema würde uns viel weiter bringen als die fast allseits vorhandene Verkrampfung.
Auch für die Berufe, die eine Uniform benötigen muss klargestellt, dass es sich hier nicht um das Kopftuch geht und niemand besteht darauf, sondern um eine zurückhaltende, farblich und modisch der Uniform passende Haarbedeckung, wie heute in den Spitälern für Ärztinnen und Pflegerinnen. Auch in Ländern wir England und Kanada gehört das längst erfolgreich zum Alltag. Das französische Model wäre für Österreich alles andere als ein geeignetes Vorbild.
Tarafa Baghajati