Offener Brief: Österreich soll wieder ein Modell-Land im Umgang mit dem Islam werden - Sozialer Zusammenhalt statt populistischer Ausgrenzung
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Offener Brief:
Betreff: Österreich soll wieder ein Modell-Land im Umgang mit dem Islam werden - Sozialer Zusammenhalt statt populistischer Ausgrenzung
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Karl Nehammer,
Sehr geehrter Herr SPÖ-Vorsitzender Andreas Babler,
Sehr geehrte Frau NEOS-Parteiobfrau Beate Meinl-Reisinger,
Sehr geehrter Herr Vizekanzler Werner Kogler,
Laut einer aktuellen Erhebung der Europäischen Grundrechte-Agentur (FRA) belegt Österreich im europäischen Vergleich den traurigen ersten Platz, wenn es um die Diskriminierungserfahrungen von Musliminnen und Muslimen geht. 66 % der Menschen mit muslimischem Hintergrund erleben konkrete Ausgrenzung und Abwertung innerhalb eines Jahres und 74 % im Fünfjahresschnitt.
Diese Bilanz ist nicht nur bedrückend, sondern auch ein deutliches Zeichen für die Fehlentwicklungen der österreichischen Politik im Umgang mit dem Islam und den Muslimen der letzten zehn Jahre.
Islamfeindlichkeit wird von politischer Seite kaum je als Problem angesprochen. Vielmehr scheinen populistische Identitätspolitiken immer mehr in den Mainstream überzugehen.
Seit dem Inkrafttreten des Islam-Gesetzes 2015 und dessen Verschärfung im Jahr 2023 werden Musliminnen und Muslimen in Bezug auf ihre Religionsausübung in einigen Aspekten anders behandelt als Angehörige anderer anerkannter Religionen. In den aktuellen Regierungsverhandlungen kursieren weitere allein auf die muslimische Minderheit abzielende Vorschläge, die im Bereich der Symbolpolitik liegen, aber die Stigmatisierung und Entfremdung weiter befeuern würden – mit allen negativen Folgen auch für die Gesamtgesellschaft.
Wir erinnern mit Nachdruck an jene Zeit, als Österreich einen exzellenten Ruf im Ausland genoss. Auf Basis des gesetzlichen Anerkennungsstatus des Islams seit 1912 fand ein institutionalisierter Dialog statt. Österreich war einst das Land der europäischen Imame-Konferenzen 2003, 2006 und 2010 sowie der Wiener Imame-Konferenz 2005, die in Kooperation mit staatlichen Stellen stattfanden. Kanzler Schüssel bezeichnete dies als „Exportartikel“. Bundeskanzlerin Merkel erkannte dies und lud den damaligen Präsidenten der IGGÖ Anas Schakfeh zu Beratungsgesprächen nach Deutschland ein.
Die Abschlusserklärungen wurden von österreichischen Vertreterinnen und Vertretern stolz in Brüssel und weltweit präsentiert. Die Vereinbarkeit einer Identität als muslimisch und zugleich österreichisch/europäisch steht darin im Mittelpunkt.
Angesichts der laufenden Regierungsverhandlungen möchten wir folgende Punkte benennen:
Schluss mit „lex Islam“-Verbotspolitik: Die bestehende Gesetzeslage ist ausreichend. „Politischen Islam“ – ein mehr als umstrittener und wissenschaftlich nicht haltbarer Begriff - verbieten zu wollen oder von Kopftuchverboten zu phantasieren bedient eine populistische Haltung des „Euch werden wir es schon zeigen!“, löst aber einen gefährlichen Kreislauf von weiterer Polarisierung aus. Die damit einhergehenden negativen Zuschreibungen treffen pauschalierend alle Menschen muslimischen Hintergrunds und entfremden jenen muslimischen Mainstream, der eigentlich gestärkt werden müsste, um den sozialen Zusammenhalt und gemeinsames Wertebewusstsein zu fördern. Populistische Verbotspolitik birgt die Gefahr von „self fulfilling prophecies“.
Abschaffung „Dokumentationsstelle Politischer Islam“: Bei zweifelhafter wissenschaftlicher Basis steht die Einrichtung im Ruf der einseitigen Agenda. Eine seriöse universitäre und neutrale Überprüfung ist vonnöten. Selbstverständlich sind wir empirischen Studien gegenüber nicht abgeneigt, wenn diese nach wissenschaftlichen Standards fern jeglicher bloßen Bestätigung ideologisch erwünschter Vorannahmen erfolgen. Denn kritische Studien würden Denkanstöße zur positiven Weiterentwicklung liefern. Diesen Zweck konnte die „Dokumentationsstelle Politischer Islam“ nicht erfüllen. In diesem Zusammenhang sollte erwogen werden, eine „Präventionsstelle gegen Extremismus“ einzurichten – mit anerkannten Experten, die auch innerhalb der muslimischen Community Gehör finden. Eine solche Stelle könnte Präventionsarbeit und Deradikalisierungsmaßnahmen auch über soziale Medien leisten und so tatsächlich vielen Jugendlichen die Augen öffnen. Die Ergebnisse könnten durch Publikationen und Studien untermauert werden, um die notwendigen Aspekte wissenschaftlich zu untersuchen und zu analysieren.
Musliminnen und Muslime sind kein Tauschobjekt bei Koalitionsverhandlungen: Maßnahmen, die Österreich in Richtung Orbanisierung treiben und menschenrechtlich fragwürdig sind, sollen für alle potenziellen Koalitionspartnern ein „no go“ sein. Was heute die eine Minderheit trifft, könnte morgen eine andere zur Zielscheibe machen, wenn verfassungsmäßige Standards ausgehöhlt würden.
Diese drei Forderungen umreißen gleichzeitig die großen Sorgen der muslimischen Zivilgesellschaft. Uns ist klar, dass es politischen Willens und einer neuen Art der Kommunikation bedarf, um die Einschränkungspolitik der letzten Jahre gegen Musliminnen und Muslime zu durchbrechen. Doch zeigen die Glanzzeiten des „Modelllandes Österreich im Umgang mit dem Islam“ auch klar, was diese notwendige Kurskorrektur an Vorteilen für alle bringt.
Wir würden uns freuen, wenn diese Gedanken in Ihre Verhandlungen einfließen, für die wir Ihnen im Sinne der gemeinsamen Zukunft in Österreich alles Gute wünschen.
Mit freundlichen Grüßen
Dipl.-Ing. Tarafa Baghajati, Obmann der Initiative Muslimischer Österreicher/innen - IMÖ
Wien, 10.12.2024