Stellungnahme der IMÖ zum ÖVP Scharia-Verbot
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Inhaltlich wurde der folgende Artikel schon 2010 veröffentlicht (siehe Kommentare) Hier eine Aktualisierung aus aktuellem Anlass:
Ohne jegliche Debatte wurde am ÖVP Parteitag ein Antrag durchgewunken. In diesem Papier finden sich die inhaltlichen Leitlinien, die sich die ÖVP für die kommenden vier Jahre gibt - demnach eine Richtungsentscheidung, die nicht einmal diskutiert wurde. Darin findet sich ein Scharia-Verbot.
Ganz ähnlich hat schon seinerzeit Maria Fekter als damalige Innenministerin verlautbart: „Die Scharia ist nicht Teil unserer Rechtsordnung.“ Harald Vilimsky, langjähriger Generalsekretär der FPÖ, blies damals ins gleiche Horn: „Wenn die betroffenen Herrschaften die Scharia haben wollen, dann steht ihnen die Ausreise in jene Länder, in denen das islamische Recht praktiziert wird, frei.“
Die oben angeführten Beispiele machen deutlich, wie - nicht anders als ein großer Teil der Bevölkerung - österreichische Politiker gar nicht wissen, was „Scharia“ eigentlich bedeutet oder schlimmer noch, lieber populistisch diese Ignoranz bedienen als für Aufklärung zu sorgen. Da scheinen all die negativen Assoziationen eines archaischen Strafrechts, die die aktuellen Entwicklungen in Afghanistan derzeit wieder wachrufen, für eine gültige Definition genommen zu werden. Dann wird „Scharia“ ausschließlich als Bedrohung des Rechtsstaates verstanden.
Daher stellt sich die Frage, ob Muslime unter diesem Begriff das gleiche verstehen. Bekanntlich benötigt jede Diskussion eine Begriffsklärung. Wenn zwei Leute über einen und den gleichen Begriff debattieren, aber jede Seite darunter etwas anderes versteht, dann braucht man sich nicht wundern, wenn es hier zu Missverständnissen und der Verstärkung von Klischees und Vorurteilen auf beiden Seiten kommt.
Linguistisch stammt der Begriff „Scharia“ vom arabischen Verb „scharaa“. Dieses hat mehrere Bedeutungen: „anfangen, beginnen, richten, gehen“. Das abgeleitete Nomen „Scharia“ heißt „Wasserstelle, Weg zur Tränke“ und auch die „Gesetzgebung“. Hierzulande unbekannt und desto wichtiger zu betonen ist, dass weder von der arabischen Sprache, noch von der islamischen Religion her sich das Wort Scharia auf den Islam begrenzt. Zum Beispiel wird auch von der Scharia des Hammurabi also „dem Gesetzeskodex des Hammurabi“ gesprochen. In der arabischen Wikipedia ist von der jüdischen und christlichen Scharia die Rede mit dem Hinweis, dass die einzelne Scharia ihre Regeln aus ihren jeweiligen religiösen Quellen entnimmt. Das Wort Scharia kommt ein einziges Mal im Koran vor. In 45:18 heißt es: „Schließlich brachten Wir dich in der Angelegenheit auf den Weg („Scharia“). Darum folge ihm und folge nicht den Neigungen der Unwissenden“ Dieser Weg wird im anschließenden Vers 20 näher erläutert: „ Dies dient der Einsicht der Menschen und ist eine Rechtleitung und Barmherzigkeit für Leute, die ihres Glaubens gewiss sind“. In einem anderen Vers 42:13 wird das Verb „scharaa“ eindeutig in Zusammenhang mit allen offenbarten Religionen verwendet: „Er hat euch als Religion anbefohlen (scharaa), was Er Noah vorschrieb und was Wir dir offenbarten und Abraham und Moses und Jesus auftrugen. Am Glauben festzuhalten und ihn nicht zu spalten…..“
So unsinnig wie die Frage an einen Christen wäre, was ihm wichtiger sei – die zehn Gebote der Bibel oder die österreichische Verfassung – ebenso unsinnig ist die Frage an den Muslim/die Muslimin, sich zwischen religiöser Bindung und Loyalität zum Staat entscheiden zu sollen. Beide Bereiche liegen auf unterschiedlichen Ebenen, die aber nicht automatisch einen Widerspruch bedeuten müssen. Ganz im Gegenteil können religiöse Werte durch ihre Sinnstiftung und ethische Orientierung auch eine positive Beziehung zur persönlichen Verantwortung innerhalb des österreichischen Rechtsstaates bedingen – sei es für den Christen oder für den Muslim.
Wenn jemand Islamwissenschaften in der muslimischen oder arabischen Welt studiert, dann nennt man ihn „Scharia-Student“. Über einen muslimischen Gelehrten wird als „Aalem Scharia“ gesprochen, also als „Islamgelehrter“. Das heißt, dass die Scharia für die meisten Muslime ungefähr die gleiche Bedeutung trägt wie christliche Theologie oder die christliche Lehre für die Christen inklusive aller ihrer Schattierungen und auch Widersprüche. Vor allem ist die Scharia nicht statisch als in sich abgeschlossen zu betrachten. Kein Buchhändler könnte einem Kunden einen Band der Scharia verkaufen. Denn Scharia meint immer auch alles, was Islamgelehrte als Antwort auf Fragen der Glaubenspraxis formuliert haben. Regeln bei der Ausübung der Religion, sei es beim Beten, Fasten und der Pilgerfahrt nach Mekka sind Bestandteil dieser Scharia. Auch wirtschaftliche Angelegenheiten wie die „Zakat“, die soziale Pflichtabgabe gehört dazu. Sie schreibt den Muslimen ab einem gewissen Sockelbetrag vor, mindestens 2,5% des stehenden Vermögens an Bedürftige zu geben und zwar als Pflicht im Sinne der Herstellung sozialer Gerechtigkeit und nicht als „Spende“. Das bekannte Zinsverbot, wie überhaupt die Wirtschaftsethik bildet Inhalte der Scharia. Bemerkenswerter Weise ist dieser Teil als „Islamic Banking“ auch durch die Wirtschaftskrise eher positiv als Alternative an die Öffentlichkeit getreten. Gebote im Rahmen der Bewahrung der Schöpfung sind „Scharia“. Aber wer würde schon – wie dies eigentlich korrekt wäre – das Verbot von Spekulationsgeschäften oder den Handel mit gar nicht vorhandenen Gütern als „Scharia“ bezeichnen oder das Eintreten für Klimaschutz?
Wichtig ist den dynamischen Charakter der Scharia zu sehen, der dem Selbstverständnis des Islam entspringt, dass immer dann wenn sich Zeit, Ort und handelnde Personen, also die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ändern, auch Fragestellungen in neuem Licht erscheinen und neuer Antworten bedürfen.
In der Tat wird aber insbesondere, wenn es sich um rechtliche Angelegenheit handelt, auch von der Scharia als „Islamisches Recht“ gesprochen. Hier liegt der Vergleich mit dem kanonischen Recht bei den Katholiken und mit dem jüdischen Recht, der Halacha, das ebenfalls Ähnlichkeit mit der islamischen Scharia aufweist. Als im Zuge des Islamgesetzes von 2015 in dieses der „Vorrang des staatlichen vor dem religiösen Recht“ hineingeschrieben wurde, war dies einer der Kritikpunkte auf muslimischer Seite, weil dies ohnehin selbstverständlich ist, für alle Religionsgemeinschaften ohnehin gilt und auch in der Verfassung der IGGÖ festgehalten.
Daher ist es wichtig, dass Politiker und Journalisten verstehen, warum Muslime den Kopf schütteln, wenn über die Scharia undifferenziert geschimpft wird. Unter Scharia ausschließlich „Körperstrafen“ zu verstehen (was in Österreich ohnehin kein Mensch verlangt) ist problematisch und für die Muslime irritierend. Klargestellt wurde unmissverständlich in den Schlusserklärungen der Imame-Konferenzen von 2003, 2006 und 20110, veranstaltet gemeinsam mit dem "Schwarzen-ÖVP"-Außenministerium, dass die Vereinbarkeit des Islam mit den Werten von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus und Menschenrechten aus der islamischen Theologie heraus gegeben ist.
Mit der neuen türkisen ÖVP-Forderung nach einem Scharia-Verbot positioniert sich die Kanzlerpartei leider wieder einmal ganz klar und deutlich gegen eine religiöse Minderheit im Land. Das ist Wasser auf die Mühlen von Extremisten jeglicher Herkunft; und das schadet wiederum dem Ruf Österreichs, der ohnehin jüngst durch diese unselige “Islam-Karte” noch mehr beschädigt wurde. Es bleibt zu hoffen, dass sich innerhalb der ÖVP vernünftige Stimmen melden und dass auch der grüne Koalitionspartner und die Opposition bei SPÖ und NEOS nicht einfach nur zuschauen, wenn de facto ein Verbot der Religionsausübung für Muslime gefordert wird.
Tarafa Baghajati, Obmann der IMÖ Initiative muslimischer Österreicher-innen