Gesamtbericht: Kairoer Konferenz: Islamgelehrte gegen FGM (weibliche Genitalbeschneidung).

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FGM - weibliche Genitalbeschneidung: Kairoer Konferenz von Islamgelehrten leistet wichtigen Schritt zu deren Abschaffung

Hintergrundbericht und die komplette Schlusserklärung in deutscher Übersetzung

Islamische Gelehrte und Fachleute aus 13 Ländern trafen sich am 22. und 23. November in Kairo, um unter Schirmherrschaft des Großmuftis der Al Azhar über die Haltung des Islam zu FGM beraten". Zwar waren bereits dutzende Schriften verschiedener Gelehrter, auch mit bekannteren Namen, zu diesem Thema vorhanden. Neu an dieser Konferenz war das Zusammenkommen mehrerer ausgewiesener theologischer Autoritäten (u.a. Qaradawi, Tantawi, Ali Ghomaa, Farid Nasr ….) und die Einbindung international bekannter Frauenärzte, drei aus Ägypten, einer aus Äthiopien und einer aus Deutschland, in die Diskussion, so dass ein vernetztes Arbeiten unter Einbeziehung von Fachleuten aus verschiedenen Bereichen erreicht werden konnte.

Verabschiedet wurde ein richtungweisendes Dokument, das eine klare Ächtung von FGM begründet. Eingeladen hatte die deutsche Menschenrechtsorganisation TARGET, die seit 2000 mit der von ihr initiierten "Pro-Islamischen Allianz gegen weibliche Genitalverstümmelung" gegen FGM arbeitet. Aus Österreich war der Menschenrechtsbeauftragte der Islamischen Glaubensgemeinschaft, DI Tarafa Baghajati, eingeladen. Dabei führte er stellvertretend jene Position aus, die Scheich Mag. Adnan Ibrahim erfolgreich in einem großen Vortrag im Juni 2005 im Wiener alten AKH dargelegt hatte, was den unmittelbaren Anlass für die deutschen Initiatoren der Konferenz gegeben hatte, Wert auf die Teilnahme aus Österreich zu legen. 

Der Bericht dazu: http://www.derislam.at/islam.php?name=Themen&pa=showpage&pid=171

Bei diesem Ansatz wird theologisch jede Art von Rechtfertigung in Bezug auf FGM (female genital mutilation) durch eine exakte Analyse aller einschlägigen Quellen als falsch zurückgewiesen. Schlüssig und wirkungsvoll ist der Zugang nicht allein über das Argument „Körperverletzung“, sondern der Einstieg in die Ausführungen über das Recht der Ehefrau auf ein erfülltes Geschlechtsleben. Neben der theologischen Beweisführung wurde von Tarafa Baghajati auch der Umgang mit dem Thema aus europäischer muslimischer Sicht erörtert. Zudem wirkte er in der Kommission zur Formulierung der Schlusserklärung mit.

Das Ziel der Konferenz, eine klare und breitenwirksame religiöse Ächtung dieser grausamen Praxis zu erreichen, von der nach Schätzungen weltweit 15 Millionen Frauen betroffen sind, konnte erreicht werden. Der Einfluss von Multiplikatoren auf muslimischer Seite erwies sich schon in den vergangenen Jahren als zielführend in der Bewusstseinsbildung gegen FGM. Durch die nunmehrige Erklärung ist ein weiterer bedeutender Schritt die Genitalverstümmelung zu unterbinden gelungen. Denn auch in den Statements der aus afrikanischen Ländern angereisten Gelehrten wurde deutlich, wie sehr ihnen daran liegt, durch die Fatwa, das Rechtsgutachten, einer derartig renommierten Einrichtung den Rücken gestärkt zu bekommen.

Den Beschluss in der deutschen Übersetzung wie nachfolgend, das arabische Original (bzw. eine Übersetzung ins Englische oder Französische) senden wir auf Anfrage gerne per e-mail zu.


Beschlüsse der Konferenz in Kairo

Im Namen Gottes des Barmherzigen, des Allerbarmers

Die Internationale Konferenz der Gelehrten bezüglich des Verbots von Missbrauch des weiblichen Körpers wurde am 1. und 2. der Dhul-Qi'da 1427 nach der Hijdra, entsprechend dem 22. und 23. 11.2006, in den Konferenzräumlichkeiten der Al-Azhar Universität abgehalten. Eine Anzahl von Forschungsarbeiten wurde vorgetragen. Nachdem Wissenschaftler und islamische Gelehrte sowie Fachleute und Aktivisten von zivilgesellschaftlichen Organisationen aus Ägypten, Europa und Afrika angehört wurden, werden folgende Empfehlungen bekannt gegeben:

  1. Gott hat den Menschen mit Würde ausgestattet. Im Koran sagt Gott: „Wir haben die Kinder Adams gewürdigt“. Daher wird von Gott jeglicher Schaden verboten, der Menschen zugefügt wird, unabhängig von gesellschaftlichem Status und Geschlecht.
  2. Weibliche Genitalbeschneidung ist eine ererbte Unsitte, die in einigen Gesellschafen praktiziert wird und von einigen Muslimen in mehreren Ländern in Nachahmung übernommen wurde. Dies ohne textliche Grundlage im Koran, respektive einer authentischen Überlieferung des Propheten.
  3. Die heutzutage praktizierte weibliche Genitalbeschneidung fügt der Frau physische und psychische Schäden zu. Daher müssen diese Praktiken unterbunden werden, in Anlehnung an einen der höchsten Werte des Islams, nämlich dem Menschen keinen Schaden zuzufügen – gemäß dem Ausspruch des Propheten Mohammad, Friede und Segen Gottes sei mit ihm: „Keinen Schaden nehmen und keinem anderen Schaden zufügen“. Vielmehr wird dies als strafbare Aggression erachtet.
  4. Die Konferenz appelliert an die Muslime, diese Unsitte gemäß den Lehren des Islams zu unterbinden, da jene verbieten, dem Menschen in irgendeiner Form Schaden zuzufügen.
  5. Ebenso fordern die Teilnehmer der Konferenz die internationalen und regionalen Institutionen und Einrichtungen auf, ihre Anstrengungen auf die Aufklärung und Unterrichtung der Bevölkerung zu konzentrieren. Dies betrifft insbesondere die hygienischen und medizinischen Grundregeln, die gegenüber der Frau eingehalten werden müssen, sodass diese Unsitte nicht weiter praktiziert wird.
  6. Die Konferenz erinnert die Bildungseinrichtungen und die Medien daran, dass sie die unbedingte Pflicht haben, über die Schäden dieser Unsitte aufzuklären und deren verheerende Konsequenzen für die Gesellschaft aufzuzeigen, um zur Eliminierung dieser Unsitte beizutragen.
  7. Die Konferenz fordert die Legislativorgane auf, ein Gesetz zu verabschieden, welches den Praktizierenden diese schädigende Unsitte der weiblichen Genitabeschneidung untersagt und sie als Verbrechen deklariert, unabhängig davon, ob es sich bei den Praktizierenden um Täter oder Initiator handelt.
  8. Des Weiteren fordert die Konferenz die internationalen Institutionen und Organisationen auf, in allen Regionen Hilfe zu leisten, in denen diese Unsitte praktiziert wird, um somit zu ihrer Beseitigung beizutragen.

Unterschrift:
Prof. Dr. Ali Goma’a
Großmufti Al-Azhar
25.11.2006


FGM in Europa
Vom Umgang der MuslimInnen am Beispiel Österreichs

Vortrag von Tarafa Baghajati
anlässlich einer Fachkonferenz an der Al Azhar Universität in Kairo
am 22. und 23. November 2006

Eminenz, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Geschwister, as-salamu alaikum!

Als Initiator und Koordinator einer großen Aufklärungsveranstaltung zu FGM in Wien mit einem Schwerpunkt auf der islamischen Perspektive möchte ich Ihnen nach der Präsentation der damals durch den Gelehrten Scheich Adnan Ibrahim eingebrachten theologischen Ausführungen kurz die Situation aus der Praxis heraus schildern. Österreich mag dabei als ein Land Europas durchaus als Beispiel dafür gelten, mit welchen Problemen wir es uns hier beschäftigen müssen.

Wie kamen wir als österreichische Muslime dazu, uns mit FGM auseinanderzusetzen?

Klischeebilder, Vorurteile und Ressentiments gegenüber dem Islam werden in Europa von zwei wesentlichen Aspekten geprägt:

a) Islam und Menschenrechte: Dies inkludiert ganz allgemein Assoziationen zum Problem von Gewalt und Einschränkungen der Meinungs-, Kunst und Pressefreiheit, die Anwendung der Hudud (Körperstrafen) und fehlendes Wissen um das Verständnis von Begriffen wie „Jihad“ oder „Scharia“.

b) Islam und Frauenrechte: Hier sind neben den allgemeinen Rechten insbesondere die Aspekte Bildung, Berufstätigkeit und Reisfreiheit zu nennen. Zwei überaus sensible Bereiche sind verstärkt in den Blickpunkt gerückt: Zum einen die freie Wahl des Ehepartners. Hier wird von „Zwangsehe“ in einer Weise gesprochen, als sei sie in muslimischen Gesellschaften weit verbreitet. Das zweite Thema, das regelmäßig auch medial breit thematisiert wird, ist FGM. Auch wenn solches nicht dem Islam an sich angelastet wird, so werden immer wieder Gelehrte kritisiert, zu wenig dagegen gesprochen, bzw. es gar stillschweigend geduldet zu haben oder derartiges lieber zu tabuisieren.

In diesem kleinen Vortrag werde ich mich ausschließlich dem Thema FGM widmen und dies in aller Kürze, da alles andere den Zeitrahmen sprengen würde.

In Österreich wurde eine Studie in Auftrag bekannt gegeben:

Zitat aus der Seite des Frauenministerium: „Diese Studie wurde vom Bundesministerium für Gesundheit und Frauen in Kooperation mit der Österreichischen Ärztekammer und UNICEF Österreich durchgeführt. Im Februar 2006 gingen insgesamt 1.667 Fragebögen an niedergelassene Gynäkolog/inn/en und Kinderärzt/inn/en. Im Mai wurden dann 250 Fragebögen an Ärzt/inn/en von Gynäkologie-/Gebär- und Kinderabteilungen in öffentlichen österreichischen Krankenhäusern versandt.

  • 14 Prozent der befragten niedergelassenen Gynäkologinnen und Gynäkologen oder Kinderärztinnen und -ärzte haben bereits mindestens einmal in ihrer Ordination ein/e genitalverstümmeltes Mädchen oder Frau behandelt.
  •  Je zwei Ärztinnen bzw. Ärzte in Wien und in der Steiermark wurden schon gefragt, ob sie eine Genitalverstümmelung durchführen, 4 Ärztinnen oder Ärzte gaben an, von einer Genitalverstümmelung von Mädchen in Österreich gehört zu haben.
  • 16 Prozent der Krankenanstalten, die den Fragebogen retourniert haben, gaben an, dass bei ihnen genitalverstümmelte Mädchen oder Frauen behandelt wurden.
  • Drei Viertel der Opfer stammten aus Somalia und Äthiopien. Die Herkunft der restlichen Patientinnen war nicht bekannt
  • 79 Prozent der befragten Krankenanstalten befürworten es, das Thema "Genitalverstümmelung" in die Curricula der medizinischen Aus- oder Weiterbildung aufzunehmen.“ Zitat Ende.

Mehr als jede Statistik aussagen kann, ist die Weise wie MuslimInnen in Österreich zum Teil hautnah mit der Problematik konfrontiert werden. Es kursierten Gerüchte, dass Beschneidungen während des Urlaubs durchgeführt werden, manchmal ohne Wissen der Eltern bei Verwandtenbesuchen. Betroffene – Frauen und ihre Ehemänner – schütteten ihr Herz bei engen Bekannten aus, dass sie ein unerfülltes Sexualleben hätten mit schlimmen Folgen für die ganze Ehe.

Noch ein Beispiel: Eine österreichische Frau (Muslimin) wartete mit der Erfüllung ihres Kinderwunsches, bis sie eine verbindliche Zusicherung des Mannes und seiner Familie vor Zeugen bekam, dass die Genitalien bei ihnen geborenen Mädchen nicht angetastet werden dürften, egal nach welcher Methode.

Vor der Urlaubszeit (Schulen schließen Juli/August)) im Jahr 2005 sind in Wien einige afrikanische MuslimInnen an Scheich Adnan Ibrahim (Imam der Schura Moschee) und an die Initiative Muslimischer ÖsterreicherInnen mit dem ausdrücklichen Ersuchen herangetreten diese Angelegenheit öffentlich zu thematisieren. Um größtmögliche Öffentlichkeit zu erreichen wurde als Veranstaltungsort bewusst nicht die Moschee, sondern ein öffentlicher großer Saal gewählt. Die Einberufung dieser Tagung (ein detaillierter Bericht liegt bei Interesse vor) hat in Wien Wellen geschlagen. Durchwegs positive Meldungen von der hohen Politik und den Medien waren die Folge. Hier möchte ich jedoch mehr den Diskurs innerhalb der muslimischen Gemeinde kurz erörtern.

Vor dem Vortrag waren die Reaktionen, dass FGM von Muslimen offen diskutiert werden würde, im Wesentlichen wie folgt:

a) MuslimInnen aus den Gebieten, in denen FGM verbreitet ist, waren vorwiegend erleichtert und setzten Hoffnung in eine Aufklärung. Aber auch viele ChristInnen und Angehörige von Naturreligionen begrüßten unser Vorhaben.

b) Manche Teile der afrikanischen MuslimInnen fassten das Vorhaben eher als Beleidigung auf. Sie äußerten sich etwa so: „Wieso erlaubt Ihr euch hier eine Jahrtausende alte Tradition infrage zu stellen, nur um „dem Westen zu gefallen“?!

c) MuslimInnen aus Ländern, denen diese Praxis komplett fremd ist (Türkei, Bosnien, Syrien, ...) warnten zum Teil, das Thema aus islamischer Sicht anzugehen, damit ja nicht der Islam als solcher darunter leide – doch wieder das Klischee verfestigt werde, Islam und FGM „gehörten irgendwie zusammen“. Afrikanische MuslimInnen (aus Tunesien, Marokko, teilweise Nigeria …) hatten die berechtigte Sorge, sich auf einmal rechtfertigen zu müssen für etwas was sie nicht vertreten, ja zum Teil gar nicht kennen!

Im Nachhinein konnte die Erwartung, mit diesem Vortrag für alle Gruppen von nachhaltiger Bedeutung zu sein, eingehalten werden. Die Strategie durch Aufklärung Argumente zu liefern, die all jenen helfen können, die Überzeugungsarbeit im Sinne der Überwindung von FGM leisten, bewährte sich. Der Zugang zum Thema war dabei durchaus auch für TeilnehmerInnen ohne muslimischen Hintergrund erhellend. Denn Scheich Adnan stützte seine Ausführungen auf gleich zwei Säulen:

a) Schutz des menschlichen Körpers und damit Körperfreundlichkeit im Islam und das Recht der Frau auf erfüllte Sexualität, damit verbunden auch Gesellschaftskritik

b) Theologische Beweisführung unter Berücksichtigung aller Interpretationen zu diesem Thema mit dem eindeutigen Ergebnis, dass FGM mit dem Islam nichts zu tun hat.

Der erste Teil des Vortrages war eine große Überraschung für das Publikum. - Hier sitzt ein Scheich und Gelehrter, der so offen und gleichzeitig seriös über Sexualität redet, dass dies sogar für europäische Verhältnisse keine Selbstverständlichkeit ist.

Ein Imam aus Somalia kam zu Scheich Adnan um zu berichten, dass er aus einer Ortschaft stamme, in der die Mädchen zu 100% beschnitten werden. Nach dem Vortrag empfinde er nun nicht nur Verantwortung, sondern eine Verpflichtung bei seiner Rückkehr Aufklärung im Sinne dieser Erkenntnisse zu betreiben. Ein ägyptischer Vater sprach mit Tränen in den Augen gegenüber Scheich Adnan davon, dass er diese Vortrag zu spät für seine älteste Tochter gehört hätte. Geplant war für den Urlaub die Beschneidung der jüngeren beiden Töchter. Diese sind aber nun gerettet.

Von einigen dutzend Mädchen erfuhren wir inzwischen, dass ihre Eltern entschieden diese Tortur an ihnen nicht mehr durchführen lassen zu wollen. Da es sich noch immer um ein weitgehend tabuisiertes Thema handelt, nehmen wir an, dass die Zahl der Mädchen, denen FGM erspart bleibt, eine viel höhere ist. Der Vortrag wurde von vielen muslimischen ÖsterreicherInnen durch Tonaufnahmen, schriftlich oder durch persönliche Berichte weitergegeben. Wir hören immer wieder Berichte, die belegen, dass diese Aktion wohl dazu beigetragen hat, das Sprechen über FGM zu ermöglichen und den Betroffenen eine praktische Hilfestellung zu geben.

Abschließend ist uns wichtig zu betonen, dass die europäischen MuslimInnen ein nicht mehr zu vernachlässigender Faktor geworden sind. Die Verflechtung der Welt in dieser globalisierten Zeit macht die Rolle der muslimischen Minderheit sowohl als „Botschafter“ des Islams im Westen als auch Brückenbauer zwischen Orient und Okzident immer wichtiger.
Wir treten für einen direkten Kontakt und Dialog zwischen den muslimischen Autoritäten in der muslimischen Welt, allen voran Al Azhar Al Sharif, und den Glaubensgeschwistern in Europa ein.

Wir möchten aus Österreich unseren herzlichen Dank an die Veranstalter Target und die Al Azhar Universität aussprechen. Dem persönlichen Engagement von Herrn Nehberg und der Gruppe um ihn und von Herrn Großmufti Ali Ghomaa gebührt unsere Hochachtung und Bewunderung. Wir hoffen, dass diese Veranstaltung einen Meilenstein setzt, das Bewusstsein über die dramatischen Folgen für FGM zu schärfen und aufzuzeigen, dass es keine religiöse Rechtfertigung dafür geben kann. In diesem Sinne wünschen wir uns eine langfristige und gedeihliche Zusammenarbeit.
Anmerkung: Diese Ausformulierung wurde nicht wörtlich so gehalten, sondern als Replik über bisherige Diskussionspunkte, insbesondere als theologische Beweisführung gegen FGM.

Rückfragen an:

Tarafa Baghajati,
baghajati [at] aon.at
0043-664-521 5080

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