"Ein Ventil in der Krise"
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Integrationsbeauftragter Omar Al-Rawi über die Trennung von Staat und Religion, Politik in der Moschee und seine Rolle als Gemeinderat.
Kurier Online: Wie sehen Sie als Integrationsbeauftragter der Islamischen Glaubensgemeinschaft die Abgrenzung des Islam zu Politik? Die Glaubensgemeinschaft hat ja immer wieder politische Demonstrationen mitorganisiert.
Die Glaubensgemeinschaft hat nicht organisiert, sondern hat Ansprachen auf Demonstrationen gehalten. Die Demonstrationen sind ja ein Ventil für Muslime, die ihre Informationen hauptsächlich von Medien wie Al-Jazeera oder Al-Arabia beziehen; die 24-Stunden-Live-Übertragung aus den Krisengebieten sehen. Da haben viele das Gefühl, sie müssen etwas tun. Ich glaube, der zivilisierte und demokratische Weg über Demonstrationen und Kundgebungen ist ein richtiger Weg. Als der Karikaturen-Streit aufkam, hat die Glaubensgemeinschaft beschlossen, sich nicht einzuklinken und nicht zu mobilisieren. Und es hat dann zwei Demos gegeben: Eine von der kleinen radikalen Islamischen Jugend (nicht zu verwechseln mit der Muslimischen Jugend Österreich MJÖ, Anm.) und eine von Gaddafis Sohn in Wien. Nach dem Papst-Zitat gegen den Propheten Mohammed haben wir statt eines "Tags des Zorns" einen "Tag des Dialoges" organisiert – mit einer Kundgebung und einer Diskussion zwischen Christen und Moslems. Hätten wir es nicht gemacht, hätten andere vielleicht wirklich einen "Tag des Zorns" veranstaltet. Und da könnte alles Mögliche passieren. Es ist also eine Gratwanderung, eine Verantwortung, solche Dinge zu verhindern. Aber zurücklehnen und nichts tun ist auch nicht der richtige Weg.
Inwieweit darf ein Imam sich politisch äußern?
Auch hier kommt das Prinzip der Ventilwirkung zum Tragen. Ich glaube, dass man globalisierte Probleme, die die Menschen einfach tangieren, nicht übergehen darf. Nachdem sich der Großteil der Kriege in islamischen Ländern abspielt – Libanon, Irak, Palästina, Kaschmir, Checheneyn – ergibt sich das zwangsläufig. Diese Menschen stehen unter Druck, haben eine Riesenangst, dass ihre Eltern, ihre Kinder da unten sterben könnten. Solche Menschen brauchen eine seelsorgerische Betreuung, und das ist dann eben auch Aufgabe des Imam.
Und nicht nur das: Wenn man sieht, wie Terroristen den Islam missbrauchen, dann muss ich das thematisieren und aufarbeiten. Es reicht nicht zu sagen, "tut es nicht".
Die politischen Probleme in der Welt sind also ein Teil der Predigt?
Nein. Ich rede von Pragmatismus. Ich bin grundsätzlich ein Anhänger davon, dass solche Themen nicht in den Moscheen behandelt gehören. Man kann das ja im Rahmen eines Vortrags machen. Bei den Predigten geht es auch um Armut, um die Erderwärmung, um Globalisierung. Sie brauchen einen aktuellen Anlass. Der Bezug zu den Menschen und ihrer Lebenswelt ist eine wichtige Sache, gerade wenn es um Gewalt, um Frauenthemen, um FGM (Genitale Verstümmelung, Anm.) geht. Auch als das Hochwasser in Österreich war, war das in den Moscheen ein Thema, viele haben für betroffene Österreicher gespendet.
Haben Sie in Moscheen Wahlkampf für Ihre Kandidatur im Gemeinderat betrieben?
Ja, in Moscheen im Sinne von Kulturvereinen. Nicht im Rahmen einer Predigt, eines Gottesdienstes. Aber Moscheen sind ja auch Versammlungsorte mit Kantinen, wo man Tee trinken kann, dort ja. Im Übrigen auch nicht nur ich, auch muslimische Kandidaten anderer Parteien. Vor der Moschee hab ich meine Flyer verteilt, dazu stehe ich. Ich bin auch stolz, dass die Menschen zu den Wahlen gegangen sind.
Was hat Ihre politische Tätigkeit als Gemeinderat in der muslimischen Community bewirkt?
Durch meine Tätigkeit haben mich die Vereine zu Podiumsdiskussionen eingeladen, auch zur Rechenschaft gezogen. Das politische Interesse der Muslime ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Wenn ich gegen Radikalismus, FGM (Genitalverstümmelung), Ehrenmorde, Zwangsehen auftreten will, dann hab ich das Standing der Community, das zu transportieren. Damit transportiere ich ja auch die Wünsche der Mehrheitsgesellschaft.
Lassen sich die politische Funktion des Gemeinderats und die Funktion als Integrationsbeauftragter in der Glaubensgemeinschaft vereinbaren?
Meine Rolle als Integrationsbeauftragter hat eine gesellschaftspolitische und keine religiöse Funktion. Das Realisieren von Projekten wie beispielsweise einem Islamischen Friedhof in Wien ist sowohl kommunal- als auch integrationspolitisch zu sehen. Ich war nie im Leben ein Mufti oder Imam, ich hatte nie ein religiöses Amt. Daher sehe ich darin auch kein Problem.
Zur Person:
Omar Al-Rawi wurde 1961 in Bagdad geboren und lebt seit 1978 in Österreich.
Seit 1999 ist er Integrationsbeauftragter der Islamischen Glaubensgemeinschaft. Im selben Jahr gründete er die "Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen" mit.
2001 kandidierte Al-Rawi für den Wiener Gemeinderat, seit 2002 ist er Abgeordneter zum Wiener Landtag und Gemeinderat.
Artikel vom 09.07.2007, 23:02 | KURIER ONLINE | Nicole Thurn