Integration und Desintegration im religiösen Diskurs

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Dialogfähigkeit

Zitat aus dem Koran:„und wenn dein Herr gewollt hätte, hätte Er die Menschen zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht. Doch sie sind immer uneins“ Koran Sure Hud Nr. 11/118

Zu einer integrativen Rolle gehört vor allem die Dialogfähigkeit und der Mut zur Selbstkritik. Ein Dialog, in den die eigene Identität ohne negative Abgrenzungen eingebracht wird, während fremde Identität bewusst wahrgenommen und respektiert wird,  kann für alle Seiten befruchtend wirken. So kann gerade in einer Zeit, in der viel von Säkularismus die Rede ist, die Begegnung mit Menschen anderen Glaubens und deren Erfahrung in einer solchen Gesellschaft bestärkend für die eigene Glaubenspraxis werden.  Freude an Viel­falt sollte zu einem gemeinsamen Versuch führen, die Angst vor Unter­schieden zu vermindern. „O ihr Menschen! Wir haben euch als Mann und Frau erschaffen und euch zu Völkern und Stämmen gemacht, dass ihr einander kennen möchtet. Wahrlich, der Angesehenste von euch ist vor Gott der, der unter euch der Gerechteste ist.“ ( Koran Sure 49, Vers 13)

Kluft zwischen Theorie und Praxis – Gefahr und Chance

Die Kluft zwischen Theorie und Praxis, bzw. zwischen Lehre und Art der Auslegung braucht als Problemstellung in allen Religionen nicht gesondert erläutert werden. Die eigene Lehre hoch zu preisen und gleichzeitig Schwächen der eigenen Gemeinschaft zu negieren, wirkt gesellschaftspolitisch in alle Richtungen  desintegrativ.

Andererseits liegt für den Islam in Europa gerade in der Vielfalt durch MigrantInnen aus verschiedensten Ursprungsländern mitgebracht wurde, eine große Chance. Durch das Zusammenleben der muslimischen communities, der türkischen, arabischen, bosnischen, albanischen, indonesischen, afrikanischen und auch europäischen, bzw. österreichischen. kommt es zu einer Auseinandersetzung darüber, wo in der Glaubenspraxis Elemente liegen, die Bestandteil des Glaubens sind und wo sich eher regionale Traditionen herausgebildet haben, die mit der Lehre nicht unbedingt in Einklang zu bringen sind.  Vor allem die zweite und dritte Generation gibt hier wichtige Impulse. Sie fordert auch am vehementesten ein, den Islam nicht als Gastarbeiterreligion zu sehen, sondern reklamiert für sich, als österreichische Muslime wahrgenommen zu werden.

Muslime als Minderheiten / Islam in Europa

Wenn wir den Islam in Europa näher betrachten, fällt besonders die Herausforderung auf, hier kompatibel zu einer westlichen modernen demokratischen Gesellschaft islamische Konzepte zu entwickeln. Der Islam kann eine große Dynamik entwickeln und das gerade im Spannungsfeld mit unverrückbaren Prämissen. Der Koran gilt als unveränderbare Botschaft göttlichen Ursprungs. Kaum bekannt ist die Tatsache, dass der Koran damit bei weitem kein Handbuch der Rechtswissenschaft ist. Die Aufforderung an alle Menschen den Verstand zu gebrauchen, Satzendungen wie „wollt Ihr denn nicht begreifen“ oder „wollt ihr nicht nachdenken“ und „Er legt die Zeichen dar für Leute, die Wissen besitzen“ werden im Koran immer wieder angetroffen.

Die Auslegung, die ein Berücksichtigen von durch Zeit, Ort und involvierte Personen entstandene besondere Umstände verlangt, hat sich solchen Gegebenheiten zu stellen.

Al-Ijtihad, also die „selbständige Meinungsbildung“ kommt zur Anwendung, wenn keine rechtsverbindlichen Quellen in Koran und Sunna – der Überlieferung der Glaubenspraxis des Propheten- greifbar sind. Al-Ijtihad ist das „Prinzip der Beweglichkeit im Gefüge des Islam“. Die Muslime in Europa haben in vielen Belangen einen nicht zu unterschätzenden Konflikt, da die vorhandenen Bücher des Fiqh (Rechtswissenschaft, von arabisch faqaha verstehen durch Gebrauch der intellektuellen Fähigkeiten) ausschließlich in der islamischen Welt entstanden. Und dies in Zeiten, als der Islam gesellschaftspolitisch und kulturell das gesamte Leben prägte. Die Erfahrung der Muslime als Minderheit und gleichzeitig Bestandteil einer nichtmuslimischen Mehrheit ist neu.  Intern besteht also eine aktuelle Nachfrage nach Ausführungen zum Fiqh Al-Aqalliiat, also Regeln für muslimische Minderheiten. (Teilnahme am politischen Leben, Finanzethik, berufliches Leben, Militärdienst usw.) Aus diesem Gesichtspunkt kann das Thema Integration einen besonderen islamischen Zugang erhalten, der sogar das Zurechtfinden für MigrantInnen in einer für sie neuen Lebenswelt erleichtert.

Unabdingbar damit verbunden ist die Definition von Prioritäten,  „Fiqh al-Aulauiiat“. Mit dem Bestimmen von Prioritäten können sehr viele Regeln auf einmal überdenkenswert erscheinen.. Falsche Tabus sollen nicht nur nachgefragt, sondern ernsthaft in Frage gestellt werden.

Identität / Zugehörigkeitsgefühl in der pluralistischen Gesellschaft

Die Islamische Glaubensgemeinschaft  ist sich der Verantwortung bewusst, hier aktiv zu sein und ermutigt ihre Mitglieder, positive Zeichen gesellschaftlicher Teilhabe zu setzen:

  • Anerkennung der Gesetze und der Verfassung
  • Zugehörigkeitsgefühl zu Österreich
  • Kompatibilität „Muslim und Europäer“
  • Teilnahme am demokratischen Prozess
  • Aktive Partizipation in der Politik,  Mitwirken in einer Partei

Zwischen den Religionen und Kulturen

Harmonie und gegenseitiges Verständnis kann nicht Gleich­macherei heißen, die Differenzen ignoriert. Die Bereicherung durch Vielfalt verlangt Kooperation. Die Angst vieler muslimischer Menschen in Europa, wie auch von Christen aus dem Orient, vor einer obligatorischen Assimilation ist groß und auch verständlich. Die Konfrontation mit dem Anspruch  einer „Leitkultur“, wie zur Zeit in Deutschland wahlkampfartig präsentiert, würde viele integrative Vorhaben auf der religiösen Seite in die Defensive drängen. Denn es ist geradezu kontraproduktiv, Werte, die die Religion des Islam nicht in Frage stellt, als unter Muslimen nicht vorhanden hinzustellen. Zielführend wäre es vielmehr, islamische Gelehrte in den Diskurs einzubinden, die sogar von der Kanzel der Moscheen aus Integrationspolitik mittragen. Dass der Begriff „Leitkultur“ von einem angeblichen Islamwissenschaftler arabischer Abstammung stammt, macht die Situation umso bedenklicher.

Frauenrechte

Im Koran finden sich positive Frauengestalten. Mariam, der Mutter des Propheten Isa, also Jesu, ist eine eigene Sure gewidmet.. Auch die Geschichte der Königin von Saba führt selbstbewusste und aktive Frauen vor. In der islamischen Geschichte war eine Frau, nämlich Hafsa, die Hüterin des kostbaren ersten Koranexemplars, Aisha, die Frau des Propheten, blieb bis ins hohe Alter eine wichtige Quelle bei allen möglichen Fragen zu konkreten Belangen des Alltags. Fatima, die Tochter des Propheten, ist eine unangefochtene Symbolfigur. Die muslimische Frau besitzt zahlreiche Rechte: Recht auf eigenen Besitz und dessen alleinige Verwaltung, Gütertrennung in der Ehe, Recht auf einen Ehevertrag, erst das Einverständnis beider Ehegatten macht die Ehe gültig...  Das alles zu predigen und dabei nicht durch greifbare aktuelle Beispiele verständlich zu machen, wird als besserwisserisch und als Verschleierung der tatsächlichen Zustände von der Gesellschaft zurecht zurück gewiesen. Die Muslime sind aufgerufen, sich von vielen verfestigten Meinungen zu entfesseln, die mit der Religion nichts zu tun haben. In Österreich gehen immer mehr Frauen daran, Klischees über die muslimische Frau durch eigenes Verhalten aufzubrechen. Frauen arbeiten als Gewerbetreibende, machen Universitätsabschlüsse, betätigen sich in sozialen Berufen, nehmen aktiv am Leben in der Gemeinde teil.

Nachbarschaft

Es hilft nicht viel, wenn ich einer alten Dame über Nachbarschaft im Islam einen bekannten Ausspruch des Propheten Muhammad, Friede sei mit ihm predige:  „Wer an Gott und den Jüngsten Tag glaubt, der soll seinen Nachbarn ehren und ihm gegenüber großzügig sein.“, während sie gleichzeitig mit ihren muslimischen Nachbarn täglich im Konflikt steht.. So lange dieser Ausspruch sich nicht anschaulich mit Leben erfüllt, können wir was diesen Teilaspekt betrifft nicht von einer integrativen Rolle religiöser Gebote reden. Doch in Österreich, gerade auch in Wien, gibt es viele ausgezeichnete Nachbarbeziehungen mit einem muslimischen Teil Dies muss aber erst bekannter werden und als Modell für ein besseres Miteinander ohne Bevormundung Anwendung finden.  Das Verhalten gegenüber den Nachbarn wird für so wichtig gehalten, dass sich daraus ein Gradmesser für die ethische Reife des Muslims ergibt. Denn es heißt: „Wenn du deinen Nachbarn sagen hörst, du seiest gut, so stimmt es. Wenn du ihn sagen hörst, du seiest schlecht, dann stimmt es auch.“ Dabei ist das religiöse Bekenntnis des Nachbarn völlig unerheblich.

Antirassismus

In Mekka treffen sich jährlich Millionen Menschen aus allen Teilen der Welt. Sie kommen auf diese Weise friedlich zusammen und leben damit ein Stück Völkerverständigung. Alle Unterschiede sollen hier aufgehoben sein, was auch das Anlegen des Pilgerkleides demonstriert.

Malcolm X, der bekannte zum Islam konvertierte schwarze Menschenrechtskämpfer, erkannte auf der Hadsch seinen Irrtum, nach dem erlittenen rassistischen Unrecht umgekehrt alle Menschen weißer Hautfarbe zur Zielscheibe zu machen. Ich persönlich habe die anti-rassistische Botschaft des Islam als Grundstein dieser Religion erst nach meiner Pilgerreise deutlicher denn je erkannt.

Menschenrechte

Verfehlungen in der islamischen Welt sind als solche zu verurteilen, auch von muslimischer Seite. Hier ist nichts zu beschönigen. Religion wird oft missbraucht, um eine ideologische Rechtfertigung zu konstruieren.  

Achtung vor der Men­schenwürde ist ein islamisches Gut. Kooperation mit anderen Organisationen auf diesem Gebiet ist wünschenswert. Viele Muslime leiten daraus einen Leitfaden ab. Das Motto „Wir sind nicht nur für Muslime da.“  fängt an Konturen zu bekommen.

Bildung

Bildungs­arbeit muss in langfristigen Konzepten denken, doch soll es auch Instrumente zur Bearbe­itung ak­tu­eller Konflikte geben.

Österreich war das erste europäische Land, das 1979 den Islam als Religionsgemeinschaft im Sinne einer Körperschaft öffentlichen Rechts anerkannte. Das ist nicht überall in Europa so Dennoch könnte dies auch für andere Länder als Modell gelten. Damit wurde der islamische Religionsunterricht an den österreichischen Schulen eingeführt, der durch die Glaubensgemeinschaft abgewickelt wird. Seit kurzem steht mit der Islamischen Pädagogischen Akademie eine Bildungseinrichtung zur Verfügung, die sich besonders um eine Vereinheitlichung der Qualifikation des Lehrkörpers bemüht. Eine fundierte Ausbildung will noch effizienter den Standard der religiösen Bildung garantieren. Der Islamunterricht legt besonderen Wert auf die Sensibilisierung in bezug auf islamische Ethik und Bildung und will so dazu beitragen, falsche Traditionen zu überwinden.

Hier sei die Studie von Frau Professor Susanne Heine in Erinnerung gerufen, die mit dem Buch „Islam zwischen Selbstbild und Klischee“ umfassend die in Schulbüchern zementierten Einseitigkeiten der Darstellung aufgearbeitet hat.

Geschichte

Auch hier wirkt eine umfassende Information auf beiden Seiten integrativ. Schon im 11. Jh. waren im heutigen Burgenland und Ungarn muslimische Geschäftsleute oft in direkter Nachbarschaft mit jüdischen Gemeinden niedergelassen. Im Berliner Kongress 1878 wurde BOSNIEN-HERZEGOWINA ÖSTERREICH-UNGARN zugeteilt. Nun war es notwendig, den Islam als Religion anzuerkennen, was auch per Staatsgesetz im Jahre 1912 geschah.. Bosnien stellte einen Teil der Garde zum persönlichen Schutz des Kaisers sowie eine Polizeieinheit, die in Wien stationiert war. Es existierten Gebetsstätten und der Bau einer Moschee war vorgesehen, vom Kaiser auch finanzielle Unterstützung zugesagt, doch der 1. Weltkrieg machte die Pläne zunichte. Unter dem Nationalsozialismus war an eine Weiterführung solcher Projekte ohnehin nicht zu denken.

Im geschichtlichen Zusammenhang soll der österreichische Muslim jüdischer Abstammung Leopold Weiss, Muhammad Asad (1900 - 1992) erwähnt werden, ein Islamwissenschafter, hochkarätiger Journalist, Mitgründer des Staates Pakistan, eine sehr anerkannte Persönlichkeit in der islamischen Welt. In seiner Person verschmolzen Orient und Okzident auf eine Weise, die gewiss mehr Beachtung verdiente.

Von vielen islamischen Gelehrten wird er in einer Reihe mit muslimischen Denkern genannt: Rifaa al-Tahtawi (1801 - 1873), Djamal al-Din al-Afghani (1839 - 1897), Muhammad Abdu  (1849 - 1905), Qasim Amin (1869 - 1903), Rashid Ridda (1865 - 1935).

Schlusswort

Abseits von Kreuzzügen und Türkenkriegen ist eine reiche Geschichte zu entdecken, die durchaus die integrativen Ansätze eines Zusammenlebens aufzeigen kann. Dies soll aber nicht von einer eingehenden Beschäftigung mit den negativen Kapiteln entheben. Denn viele Klischees und vorgefasste Meinungen finden ihre Wurzeln in der Rezeption dieser Ereignisse, wie sie schon in der Schulzeit stattfand..

Relegion soll und kann inegrativ wirken!

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