Über islamische Solidarität und jüdische Alpträume

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Friday, 16 July, 2010
Über islamische Solidarität und jüdische Alpträume

Was hat der Wiener Gemeinderat mit Gaza zu tun? Ein Streitgespräch zwischen Peter Menasse und Omar Al-Rawi

Von Walter Hämmerle

Sind Migranten anfällig für Antisemitismus?

"Wiener Zeitung": Spätestens seit der Resolution des Wiener Gemeinderats zu Israels gewaltsamen Vorgehen gegen eine Gaza-Hilfsflotte ist das Verhältnis zwischen Islamischer Glaubensgemeinschaft und Israelitischer Kultusgemeinde auf einem Tiefpunkt angelangt. Die IKG wirft Ihnen, Herr Al-Rawi, eine ‚hetzerische Politik‘ wegen Ihrer Kritik an Israel vor. Zu Recht?

Omar Al-Rawi: Dieser Vorwurf tut weh, weil jeder, der mich kennt, weiß, dass ich stets für einen friedlichen Dialog eintrete. Ich kann diese Kritik nicht nachvollziehen und weise sie zurück.

Peter Menasse: Ich spreche nicht für die Kultusgemeinde, bin noch nicht einmal Mitglied, aber uns – und hier spreche ich für die jüdische Zeitschrift "Nu" – hat dieser Gemeinderatsbeschluss doch ziemlich verblüfft. Das ist keine Sache, die Herrn Al-Rawi alleine angeht, das betrifft den gesamten Wiener Gemeinderat. Dieser ist nach unserem Verständnis einfach kein Organ der Außenpolitik und tatsächlich mischt er sich in diese auch fast nie ein, außer eben, wenn es gegen Israel geht. Das ist ein Problem.

Al-Rawi: Natürlich stimmt, dass der Gemeinderat keine außenpolitische Kompetenz besitzt. Er hat in den letzten Jahren aber immer wieder – nicht oft, aber doch – die Bundesregierung oder die EU aufgefordert, Stellung zu beziehen. So haben wir die Aussagen des iranischen Staatschefs Ahmadinejad zum Existenzrecht Israels genauso verurteilt wie den Angriff auf den Irak oder die Kurden-Frage thematisiert. Israel hat es jetzt erstmals betroffen.

Menasse: Mir geht es um die Verhältnismäßigkeit dieser Resolution: Mittlerweile liegen ja Analysen der Vorgänge vor. Diese zeigen, dass eine türkische Organisation auf dem Boot das Kommando übernommen und sich, wenn auch vielleicht unzulänglich, bewaffnet hat. Israel hat die Soldaten offensichtlich schlecht vorbereitet. Diese wurden von der Gruppe an Bord attackiert – so ist es offensichtlich zu dieser bedauernswerten Überreaktion gekommen. Und das ist dem Gemeinderat einen Beschluss wert, wenn gleichzeitig zehntausende Usbeken in Kirgistan massakriert und zahllose Kurden in der Türkei unterdrückt werden? Selbstverständlich ist dieser Vorfall zu verurteilen, aber die Leute auf dem Schiff waren ganz sicher keine anständigen Menschen, die dem Frieden dienen wollten. Der Gemeinderat wäre gut beraten einzugestehen, dass er überreagiert hat.

Al-Rawi: Ein Vertreter der deutschen Linkspartei, Norman Paech, der mit auf dem Schiff war, schwört, dass es keine Bewaffnung gegeben habe. Zwar sagt er auch, dass er verletzte israelische Soldaten gesehen habe, aber meiner Meinung nach rechtfertigt auch Widerstand nicht, dass neun Menschen erschossen werden. Die Israelis haben leider Bildmaterial konfisziert. Und: Diese Menschen waren sehr wohl anständig.

Menasse: Wir reden hier als Bürger eines Rechtsstaates. In diesem einen Fall steht Aussage gegen Aussage. Angesichts dessen muss man einfach mit kühlerem Kopf an so eine Sache herangehen und nicht schon am nächsten Tag verurteilende Beschlüsse fassen und dann auch noch zu Demonstrationen aufrufen. Ich sage Ihnen etwas: Junge türkische Leute, die in Österreich sicher kein leichtes Leben haben, weil sie oft nicht akzeptiert und frustriert sind – diese Jugendlichen werden durch Demonstrationen dieser Art verführt zu glauben, ihr Leben wäre besser, wenn sie in Österreich Juden angreifen. Es ist absurd, wenn türkische Jugendliche meinen, die Juden wären ihre Feinde und Heinz-Christian Strache und Konsorten ihre Freunde. Das ist doch ein wirklicher Jammer. Statt zu streiten, müssten wir gemeinsam demonstrieren gegen all jene, die uns Juden und Ihre Muslime nicht als vollwertige Menschen sehen. Uns verbindet mehr, als uns trennt, und das müssen wir auch den gefährdeten Jugendlichen beibringen.

Al-Rawi: Da bin ich voll bei Ihnen. Uns trennt die Einschätzung des Nahost-Konfliktes, aber ansonsten haben wir die gleichen Sorgen und Gegner. Wir Muslime haben auch die klare Haltung der Kultusgemeinde zu Fragen wie Minarett- oder Kopftuch-Verbot geschätzt. Antisemitismus ist durch nichts zu rechtfertigen.

Menasse: Sie, Herr Al-Rawi, haben allerdings bei einer Demonstration mitgemacht, bei der es zu antisemitischen Ausfällen gekommen ist. Ich weiß, dass Sie diese Leute nicht eingeladen haben, aber ich an Ihrer Stelle wäre heimgegangen, wenn es zu solchen Vorfällen kommt.

Al-Rawi: Ich bitte Sie, hier genau zu unterscheiden: Es hat eine unangemeldete Demonstration gegeben. Bei dieser wurden Scheiben an einem Haus, aus dem die israelische Flagge hing, eingeschlagen, und auch dieses unselige Plakat mit dem Slogan "Hitler wach auf" hochgehalten. Aber da war ich nicht dabei. Bei der angemeldeten Demonstration Tage später, bei der ich und andere geredet haben, ist es zu keinen antisemitischen Ausfällen gekommen.

Zur angemeldeten Demonstration haben Gruppen aufgerufen, die ansonsten wenig bis nichts miteinander gemeinsam haben. Vereint die Kritik an Israel?

Al-Rawi: Was vereint, ist die Solidarität mit den Palästinensern, nicht die Kritik an Israel. Die türkische Seele hat in diesen Tagen gekocht, weil die Gaza-Hilfsflotte unter türkischer Flagge fuhr und alle neun Toten türkische Bürger waren beziehungsweise aus der Türkei stammten.

Menasse: Diese Demonstranten, waren das Türken oder Österreicher?

Al-Rawi: Na, die Staatsbürgerschaft der Teilnehmer habe ich natürlich nicht überprüft .. .

Menasse: Worauf ich hinaus will, ist: Wir leben in einem Land mit ganz eigener Geschichte. Es ist nicht zu leugnen, dass in Österreich Anti-Israel-Positionen als Code für Antisemitismus verwendet werden – natürlich nicht immer, aber doch sehr oft. Ich rede jetzt nicht von Muslimen, sondern von den Ewiggestrigen. Deshalb müssen wir mit so großer Sensibilität an alle Fragen herangehen, die Israel betreffen. Sie haben es als Gemeinderat mit Ihren Genossen immerhin geschafft, einen Gemeinderatsbeschluss zusammenzubringen. Warum müssen Sie dann auch noch zu einer Demonstration gegen Israel aufrufen? Eine Demonstration ist ja schon per se ein kämpferisches Mittel. Warum haben Sie nicht gemeinsam mit Juden zu einem Friedensmarsch mit Lichterkette aufgerufen oder für eine gemeinsame Aktion für ein besseres Österreich?

Al-Rawi: Das können wir gerne tun. Sie übersehen aber, dass es sich bei Demonstrationen um ein demokratisches Grundrecht handelt. Selbst wenn man selbst keine organisiert, heißt das längst nicht, dass nicht andere die Lücke füllen – das ist ja auch tatsächlich geschehen. Und noch einmal: Auf der angemeldeten Demonstration, bei der ich war, ist nachweislich alles korrekt verlaufen. Aber wir vergessen bei dieser Debatte etwas Wichtiges: Was das friedliche Miteinander – auch zwischen Juden und Moslems – angeht, sind wir in Österreich einsame Spitze. Wir haben Gott sei Dank keine französischen Verhältnisse, auch keine britischen oder italienischen. Hier funktionieren Dialog und freundschaftliche Kontakte in der Regel ausgezeichnet, das ist nicht selbstverständlich.

Wie viel Kritik an Israel ist zulässig, ohne die Grenze zum Antisemitismus zu überschreiten?

Menasse: Jede Kritik ist legitim, man muss nur bedenken, in welchem Kontext dies geschieht und wie berechtigt sie überhaupt ist. Natürlich ist der Vorfall auf dem Schiff ein Akt, der kritisiert werden kann, aber er hatte niemals die Dimension, die zu einem Gemeinderatsbeschluss den Anlass hätte geben dürfen. Das gilt auch für die Demonstrationen, wo dann Glatzen mitmarschiert sind.

Al-Rawi: Noch einmal: Bei unserer Demonstration gab es weder Neonazis noch Glatzen, und Antisemiten sind nicht willkommen.

Menasse: Aber sie sind mitmarschiert: Sag mir, wer deine Freunde sind, und ich sage dir, wer du bist. Sie haben jetzt ein Problem, weil Sie die falschen Freunde haben. Das ist eine ganz wunderliche Koalition aus Links- und Rechtsextremen.

Al-Rawi: Glauben Sie mir, diese Leute waren nicht dabei.

Menasse: Für Juden, die hier leben, gibt es zwei Bilder. Das eine ist: Wenn in der Islamischen Glaubensgemeinschaft Wahlen anstehen, dann ändert sich das Verhalten .. .

Al-Rawi: Das stimmt nicht.

Menasse:...und wenn am 10. Oktober in Wien Gemeinderatswahlen sind, dann vergleichen sämtliche Parteien die Zahl der potenziellen türkisch-stämmigen Wähler mit der Zahl möglicher jüdischer Wähler. Da ziehen die Juden klar den Kürzeren und deshalb sind im Gemeinderat alle, ausnahmslos alle Parteien aufgestanden. Für mich haben Sie mit dieser Aktion der SPÖ einen Bärendienst erwiesen, weil das einfach keine sozialdemokratischen Positionen sind, die Sie vertreten.

Würden Sie, nachdem klar ist, zu welchen negativen Reaktionen dieser Beschluss geführt hat, wieder die Initiative zu einer solchen Aktion des Gemeinderats ergreifen?

Al-Rawi: Ich sehe an dieser Resolution auch heute nichts Falsches.

Menasse: Von einem bin ich überzeugt: Am 11. Oktober, am Tag nach der Wien-Wahl, wäre diese Resolution nicht beschlossen worden, dahinter steckten rein wahltaktische Motive aller Beteiligten.

Al-Rawi: Nein, dafür lege ich die Hand ins Feuer. So wirkungsvoll ist eine Resolution in außenpolitischen Fragen dann auch nicht. Die meisten Wähler haben das gar nicht mitbekommen.

Menasse: Warum ist es dann überhaupt dazu gekommen? Sie und alle anderen haben dabei auf die Wähler geschielt.

Al-Rawi: Weil eine gerechte und friedliche Lösung für Nahost alle angeht. Das Entern der Schiffe hat dazu nicht beigetragen.

Viele christliche Österreicher stehen der starken muslimisch geprägten Zuwanderung mit einem skeptischen Bauchgefühl gegenüber. Wie ist das bei den Juden?

Menasse: Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten, ich weiß es nicht. Selbst bei den wenigen hier lebenden Juden gibt es so viele verschiedene Gruppen: Es gibt Religiöse, die sehr eng miteinander leben, keine Zeitungen lesen und deshalb auch gar keine Außensicht auf die Gesellschaft haben, die sie umgibt. Dann gibt es eher säkulare Juden wie mich, die voll integriert sind und Minderheiten eher als die Nachfolger ihrer eigenen einstigen Probleme sehen. Ein Jude, der seine Geschichte kennt, steht stets auf Seiten der Migranten. Dann will man aber natürlich nicht von Migranten-Kids attackiert werden und hören "Ich hasse alle Juden".

Diesen Jugendlichen fehlt meist das historische Wissen um den Holocaust und seine Folgen. Daher ist ihre Kritik an Israel unbelastet von der besonderen Zurückhaltung, wie sie in Deutschland und Österreich zur Norm geworden ist.

Menasse: Wenn die muslimischen Jugendlichen jetzt wegen Israel eine Aversion gegenüber Juden entwickeln, dann haben sie leider so wenig verstanden, dass es traurig ist. Diese Frage muss all jene beschäftigen, die die Aufgabe haben, diese Kids zu integrieren: Das betrifft zum einen die verantwortlichen Politiker, zum anderen aber sicher auch die vielen islamischen Religionslehrer, die den Jugendlichen Orientierung geben sollten. Es braucht ein Auffangnetz, und das ist in Wien leider nicht gut geknüpft.

Al-Rawi: Die Aufklärung über den Holocaust geschieht, bei der Ausbildung unserer Religionspädagogen ist der Besuch einer Synagoge ein Fixpunkt. Und die meisten Jugendlichen wissen durch die Schule durchaus über den Holocaust Bescheid. Grundsätzlich glaube ich nicht, dass Juden die wachsende Zahl muslimischer Einwanderer beunruhigt. Juden und Muslime sind bei vielen Fragen gemeinsam auf die Barrikaden gegangen, und es war Ariel Muzicant, der gesagt hat, dass die anti-islamischen Parolen der Rechtspopulisten nach ähnlichen Mustern ablaufen wie die antisemitische Hetze der 30er.

Menasse: Ich stimme Ihnen bei allem zu, aber es stellt sich die Frage, wie Sie diese Botschaft an die unterprivilegierten, frustrierten muslimischen Jugendlichen bringen, die auf der Suche nach einfachen Feindbildern sind.

Al-Rawi: Durch Vorträge in den Vereinen, in den Moscheen. Genau zu diesem Zweck betreiben wir ja Basisarbeit.

Menasse: Diese Kids gehen doch nicht zu Vorträgen, die sitzen in den Parks, genau die müssen Sie aber erreichen, das ist Ihre ureigenste Aufgabe.

Al-Rawi: Ich glaube nicht, dass diese Jugendlichen wandelnde Antisemiten sind, die haben vielmehr das Problem, wie können sie ihre Ausbildung beenden, wie bekommen sie dann einen guten Job und so weiter.

Menasse: Meine große Sorge ist, dass Jugendliche, die nichts Konstruktives in sich haben – das betrifft längst nicht nur Migranten – in einen Sog geraten und dann plötzlich sagen: "Komm, gehen wir Juden hauen". Und solche Dinge geschehen – noch nicht oft, aber sie geschehen.

Al-Rawi: Das ist ein Horror-Szenario, das Sie hier aufzeigen. Natürlich kann ich nicht ausschließen, dass es unter Hunderttausenden nicht einige solcher Fälle gibt. Aber ich kann Ihnen versichern, dass die Aufklärung über die Folgen von Antisemitismus auch in unserem Interesse liegt. Ich würde mir aber auch die Bekämpfung von Islamfeindlichkeit, nicht zuletzt auch in der jüdischen Gemeinde, wünschen.

Ihr Verhältnis zu Ariel Muzicant ist erheblich gestört, er fordert Sie zum Rücktritt auf. Kann der Bruch zur Islamischen Glaubensgemeinschaft wieder behoben werden?

Al-Rawi: Ich bin ehrlich gesagt überrascht über die Vehemenz dieser wiederholten Attacken, auch der Offene Brief an IGGiÖ-Präsident Schakfeh hat Grenzen überschritten. Aber Muzicant ist der Präsident der Kultusgemeinde, dafür gebührt ihm Respekt und deshalb werde ich ihn auch nicht kritisieren. Mein Verhältnis zur jüdischen Gemeinde ist nicht auf ihn beschränkt. Es gab in der Vergangenheit das Übereinkommen, dass keiner den anderen wegen seiner Haltung zu Nahost kritisiert. Dorthin würde ich gerne wieder zurück. Der Nahost-Konflikt ist für mich ein politisches Problem, kein religiöses.

Menasse: Richtig. Und noch eine Anregung: Meines Wissens nach wird an Wiener Volksschulen noch immer der Sieg über die Türken 1683 als zentraler identitätsstiftender Moment für diese Stadt vermittelt. Da sitzen dann türkische Buben und Mädchen und hören, wie wunderbar es war, dass man damals die Türken besiegt hat. Das wird kaum dazu beitragen, dass sich diese Menschen hier heimisch fühlen. Man könnte ja vielleicht anregen, dass diese Stadt ihre Identität nicht aus Schlachten, sondern aus ihrer Kultur bezieht.

Al-Rawi: Das wäre tatsächlich eine ausgezeichnete Idee.

Peter Menasse

Mag. Peter Menasse, geboren 1947, ist Betriebswirt, Kommunikationsberater und Chefredakteur der jüdischen Zeitschrift "Nu".

Omar Al-Rawi

Dipl.-Ing. Omar Al-Rawi, geboren 1961 in Bagdad, seit 1988 österreichischer Staatsbürger, ist SPÖ-Gemeinderat und Integrationsbeauftragter der Islamischen Glaubensgemeinschaft.

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