Islam in Europa: „Es ist wie im Fall Amstetten“
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09.06.2011 | 18:25 | EVA WINROITHER (Die Presse)
Der Islam werde oft für die Fehltritte einzelner Muslime verurteilt, klagt Carla Amina Baghajati, Sprecherin der Islamischen Glaubensgemeinschaft. Impressionen von einer Diskussion über islamische Werte.
Wien. „Lassen Sie es mich polemisch formulieren: Es ist wie im Fall Amstetten“, sagt Carla Amina Baghajati. „Damals hat der Bundeskanzler auch gesagt, man solle dafür nicht ganz Österreich in Geiselhaft nehmen – und bei uns ist es genauso.“ Für den Vergleich mit dem Fall, bei dem ein Mann seine Tochter jahrelang gefangen gehalten und mit ihr mehrere Kinder gezeugt hatte, sollte die Sprecherin der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich viel Applaus ernten. Und es sollte noch weiterer folgen.
Baghajatis Klage über die Pauschalurteile gegen Muslime war Teil des Symposiums „Islamische Werte für Europa“, das am Mittwoch im Festsaal der TU Wien stattfand. Neben Baghajati saßen bei der vom Wiener Cartellverband organisierten Veranstaltung auch der österreichische Iranistiker Walter Posch, Religionsrechtler Richard Potz von der Universität Wien und Politologe Farid Hafez. Wie sind islamische Werte mit jenen von Europa vereinbar? Eine provokante Ausgangsfrage, die „Presse“-Redakteur Erich Kocina als Moderator in die Runde warf – und die das Publikum dankbar aufnahm.
„Wir halten daran fest, dass der Islam Frieden in sich trägt“, meinte Baghajati. Europäische Werte wie Barmherzigkeit oder Nächstenliebe seien daher auch im Koran nachzulesen. Und überhaupt – als sie selbst damals vom Christentum zum Islam konvertierte, habe sie „meine Religion geändert: nicht meine Werte“.
„Christliches Abendland“ als Illusion
Ähnlich sieht es Farid Hafez, Autor des Buches „Islamophobie in Österreich“. Laut Umfragen, die in Amerika unter Muslimen und Nichtmuslimen, gemacht wurden, stehe „ein sicherer Arbeitsplatz“ an oberster Stelle der persönlichen Wünsche von Muslimen, gefolgt von der Verurteilung gegenüber Gewalttaten und einem Glauben an die Demokratie. Bei beiden Gruppen.
Abgesehen davon, bei Muslimen in Europa von einem „Wir“ und „den anderen“ zu sprechen, sei falsch. Europa sei immer wieder vom Islam geprägt worden. Und die Formulierung vom „christlichen Abendland“ sei angesichts der zunehmenden Säkularisierung eine Illusion.
Besonders emotional wird es, als das Publikum an der Diskussion teilnimmt: „Warum dürfen Christen in muslimischen Ländern keine Kirchen bauen?“, ist eine der heftig diskutierten Fragen. Genauso wie die Debatte, ob der Islam nicht vor allem eine politische Ideologie sei – die schon fast zwangsläufig zu Gewalt führe. „Es gibt auch im Islam verschiedene Traditionslinien“, sagt Walter Posch, „und nur ein kleiner Anteil davon ist gewalttätig.“ Und selbst dieser Anteil würde kontinuierlich an Einfluss verlieren. Eines, so Walter Posch, sei jedenfalls klar: Die Zukunft des Islam liege in der Demokratie. Momentan fehle es vor allem an einer gemäßigten Partei, die sich an islamischen Werten orientiert – quasi nach dem Vorbild der Christdemokratie.
Als das Gespräch auf das muslimische Kopftuch fällt, klagt Baghajati: „Wann werden die Menschen aufhören zu glauben, dass ich mich hinter den Herd stelle, wenn ich mir ein Kopftuch aufsetze?“ Themen wie die Emanzipation der Frau seien durchaus Teil des Islam. Und Kopftuchträgerinnen seien keineswegs arme Opfer, die kein selbstbestimmtes Leben führen können. Ein Kopftuchverbot, darüber ist sich das Podium einig, sei jedenfalls kontraproduktiv.
Aus rechtlicher Sicht, meint Richard Potz, hätte Europa die Phase, in der der Staat Kleidervorschriften gab, schon längst überwunden. Eine Nonne im Zuschauerraum nickt: „Jetzt werde ich blöd gefragt, warum ich eine Kopfbedeckung trage“, murmelt sie. Für Potz stellt sich noch eine andere Frage: Wie weit kann man eine Religion verbiegen, um sie an lokale Gesetze anzupassen?
Das Publikum kann die zum Großteil harmonischen Worte auf dem Podium nicht immer nachvollziehen: „Überzeugen Sie mich“, sagt ein Mann zu Baghajati. Überzeugen wovon? Dass der Islam eine Religion des Friedens ist – angesichts von diktatorischen Regimes und Anschlägen islamistischer Extremisten. „Man kann uns nicht für alles verantwortlich machen“, meint Baghajati. „Besonders nicht für Dinge, die nicht einmal in unserem Einflussbereich liegen.“ Sie sollte dafür den lautesten Applaus erhalten.
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