Gastkommentar: "Das ist nicht der Islam!" weiterdenken
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Als Muslime sind wir gefordert, in diesen Tagen von uns aus auf andere zuzugehen.
Inzwischen sind muslimische Verurteilungen von Terroranschlägen eine traurige und makabre Routine geworden: "Das ist nicht der Islam!" Auch Experten geben zu bedenken, dass die Terrorsekten zwar Versatzstücke der Religion missbrauchen, aber letztlich nicht aus der Religion heraus erklärbar sind. Radikalisierung müsse unter anderem mehr aus soziologischer, politischer und psychologischer Perspektive beleuchtet werden.
Die "Schuld" an den Gewaltexzessen einer ganzen Religion und zugleich der weit überwiegenden Mehrheit der friedlich lebenden Muslime anzulasten ist mehrfach problematisch. Religionen an sich gerieten damit unter Verdacht, wobei sie das Potenzial tragen, Frieden und Versöhnung zu fördern. Zudem wäre ein Anstieg von Islamfeindlichkeit Dünger für die Propaganda der Extremisten, die bei der Rekrutierung nur zu gerne auf eine Opferrolle setzen.
Trotzdem sollen sich Muslime nicht davor drücken, auch über die Religion Widerstand gegen die Terroristen aufzubauen. Und dies nicht nur im Sinne der Prävention und aus dem Kalkül, dass in der Mehrheitsbevölkerung das Unbehagen und die Angst steigen und umfassendere Aufklärung als der Stehsatz "Das ist nicht der Islam!" vonnöten ist.
Für die weitere Entwicklung eines islamischen Lebensgefühls, bei dem es selbstverständlich zusammengeht, sich gleichzeitig muslimisch und europäisch zu begreifen, kann ein solcher innermuslimischer Diskurs nur fruchtbar sein. Der Welt des Hasses müssen positive Botschaften entgegengesetzt werden, die nicht nur verbal formulieren, für welche Werte Muslime stehen, sondern diese auch vorleben. Lebensfreude und aktive Teilhabe in der europäischen Gesellschaft im Rahmen ihrer pluralistischen, demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung gehören dazu. Wenn wir argumentieren, dass das menschliche Leben unbedingten Schutz verlangt, so greifen wir auf die Lehre der maqasid asch-scharia zurück, der übergeordneten Ziele des Islams. Fünf Prinzipien gelten als absolut notwendig: das Leben, die Vernunft, das Eigentum, die Familie und die Religionsfreiheit. Für eine zeitgemäße Auslegung ist diese Perspektive höchst bedeutsam. Sie wirkt gegen Tendenzen eines wortwörtlichen Verständnisses der islamischen Quellen. Darüber hinaus führt das detailliert ausgearbeitete und entwicklungsfähige Gedankengebäude der maqasid in die Menschenrechtsdebatte, die von muslimischer Seite noch viel aktiver angegangen werden soll.
Über das methodische Vorgehen hinaus gilt es auch inhaltlich den Missbrauch islamischer Terminologie zu dekonstruieren. Die extremistische Einteilung der Welt in Muslime und kuffar im Verständnis von "Ungläubige" ist fatal. Und dies nicht nur, weil auch alle Muslime, die sich nicht zu ihnen bekennen, zu kuffar und damit in ihren Augen zu Rechtlosen degradiert werden. Der Koran betont Vielfalt als gottgewollt, besonders wenn es um die Religion geht (Koran 10:99; 14:13). Menschenwürde ist allen gleichermaßen zu eigen (Koran 17:70). Eine Kultur gegenseitigen Respekts kann noch vertieft werden, wenn Muslime erkennen, wie sorgsam sie selbst mit derartigen Begriffen umgehen müssen. Das fängt im Kopf an. Anerkennung entsteht in einem gemeinsamen Prozess. Als Muslime sind wir gefordert, in diesen Tagen von uns aus auf andere zuzugehen. Wenn wir alle ernst nehmen, gegen die Terroristen in unserer Vielfalt zusammenzustehen, kann das unsere Gesellschaft stärker machen. Denn betroffen sind wir alle!
Carla Amina Baghajati ist Medienreferentin der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ).