Brief der Plattform Christen und Muslime an Frau Bundesministerin Claudia Plakolm
Diese Homepage wurde mit einem neuem CMS aufgesetzt und befindet sich daher in Arbeit ...
Sehr geehrte Frau Bundesministerin Plakolm,
seit 2006 setzt sich unsere Plattform für ein friedliches Miteinander von Christen und
Muslimen ein und fördert den Dialog sowie den Zusammenhalt in Österreich. In diesem
Zusammenhang wenden wir uns an Sie.
Wir, die Plattform Christen und Muslime, möchten mit diesem offenen Brief unsere Bedenken
gegen das geplante Kopftuchverbot bis zum Alter von 14 Jahren bei Ihnen vorbringen und
auf die tiefgreifenden negativen Auswirkungen hinweisen, die ein solches Vorhaben für
unsere Gesellschaft und für die Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger haben könnte.
Zunächst geht es hier darum, Österreichs bewährten Weg eines institutionalisierten Dialogs
mit Kirchen und Religionsgesellschaften auf Basis des säkularen Kooperationsmodells nicht
zu verlassen. Angelegenheiten, die die innere Autonomie einer Religionsgesellschaft
betreffen – hier indem das Tragen eines religiös konnotierten Kleidungsstückes berührt wird
– werden in Österreich in guter Tradition nicht über die Köpfe der Betroffenen staatlicherseits
verfügt. Dies ist ein Standard, der unseres Erachtens nicht ausgehöhlt werden darf. Denn
hier würden sich alle Kirchen und Religionsgemeinschaften zu Recht gleichermaßen negativ
betroffen fühlen.
Des Weiteren möchten wir daran erinnern, dass der österreichische Verfassungsgerichtshof
im Dezember 2020 ein Kopftuchverbot für unter 10-Jährige an Schulen als verfassungswidrig
erkannte. Die Entscheidung basierte auf dem Prinzip der Religionsfreiheit und des
Gleichheitsgrundsatzes. Entscheidend war auch die Klarstellung gegen paternalistische
Bevormundung: Es dürfe nicht eine einzige Deutung entgegen der Innensicht der
Trägerinnen selbst herausgegriffen werden, um ein Verbot zu rechtfertigen. Trotz dieser
eindeutigen Rechtslage und der vom Verfassungsgerichtshof dargelegten Begründungen
setzen Sie, Frau Ministerin, sich weiterhin über diese Entscheidung und die damit
einhergehende geforderte Vorgangsweise hinweg und fordern ein Verbot, das nach wie vor
dem Grundgesetz widerspricht.
Der Versuch, dieses Vorhaben nun mit dem „Kindeswohl“ zu begründen, ignoriert die
menschenrechtliche Dimension der Religionsfreiheit, wie sie in der Verfassung verankert ist.
Ein solches Gesetz würde nicht nur das Selbstbestimmungsrecht von Kindern und
Jugendlichen untergraben, sondern auch ihre Rechte auf freie Meinungsäußerung und
Religionsausübung, die in der UN-Kinderrechtskonvention festgeschrieben sind.
Darüber hinaus verstärkt ein solches Verbot bestehende Vorurteile und Diskriminierung
gegenüber Musliminnen. Eine politische Instrumentalisierung von Kindern und deren
Religion führt zu einer weiteren Polarisierung der Gesellschaft und fördert Ressentiments,
anstatt die Integration zu stärken. Wie auch empirische Studien zeigen, werden muslimische
Schülerinnen und Schüler bereits jetzt häufig mit Diskriminierung konfrontiert, und ein Verbot
würde diese Problematik noch verschärfen.
Es ist bedauerlich, dass, anstatt den etablierten Konsens des Selbstbestimmungsrechts
aufzugreifen und zu unterstützen, wie er innermuslimisch und in Diskursen rund um das
notwendige Empowerment von Frauen und Mädchen vertreten wird, von Ihnen weiterhin
eine einseitige und diffamierende Sichtweise eingenommen wird, die Frauen in ihrer Religion
und ihrer Kleidung als unterdrückt darstellt. Derartige Vereinfachungen ignorieren die realen
Erfahrungen und Wünsche der betroffenen Mädchen und Frauen, die in den allermeisten
Fällen ihre Entscheidung für das Kopftuch als Ausdruck von Glauben und Identität
verstehen.
Ein Verbot würde nicht nur den rechtlichen Rahmen aushöhlen, sondern auch das Vertrauen
in den Rechtsstaat und die Achtung der Grundrechte gefährden. Die Bildungseinrichtungen,
die eine inklusive und respektvolle Erziehung bieten sollten, würden durch die Umsetzung
eines solchen Gesetzes erheblich belastet und in ihren pädagogischen Prinzipien
untergraben.
Wir appellieren daher dringend an Sie, Frau Ministerin, von der Verwirklichung dieses
Gesetzesvorhabens abzusehen und stattdessen in einen Dialog mit den betroffenen
Gruppen einzutreten. Österreich sollte eine Gesellschaft bleiben, die Vielfalt respektiert und
fördert, statt durch polarisierende Maßnahmen die Spaltung zu vertiefen.
Der soziale Frieden und das Vertrauen in den Rechtsstaat müssen gewahrt bleiben, und es
ist unsere Verantwortung, keine Politik zu betreiben, die die Rechte von Minderheiten auf
solch drastische Weise einschränkt.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Matthias Geist und Dipl. Ing. Tarafa Baghajati
Vorsitzende der Plattform Christen und Muslime
Kopie an:
Bundeskanzler Christian Stocker
Vizekanzler Andreas Babler
Außenministerin Beate Meinl-Reisinger
Wien, am 28. August 2025