Großmufti Hassoun und Bischof Udu: Vom positiven muslimisch-christlichen Zusammenleben in Syrien

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Bericht von einer Dialogveranstaltung am 18. Dezember in Wien

Der Großmufti von Syrien Dr. Ahmad Badr-Eddin Hassoun und der ebenfalls in Syrien beheimatete Bischof der katholisch kaldäischen Kirche Antoine Udu referierten am 18. Dezember in Wien über das Zusammenleben der Religionen in ihrem Land und stellten sich Fragen aus dem Publikum. Der Einladung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich in Zusammenarbeit mit dem  österreichisch-syrischen Ärztekomitee waren außer dem syrischen Botschafter ungefähr achtzig Personen gefolgt, darunter auch viele Interessierte von christlicher Seite. Erfreulich das Interesse der Jugend. Die Muslimische Jugend Österreich war stark beteiligt.

Friedliches und harmonisches Zusammenleben

Nach der Begrüßung durch den Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft Anas Schakfeh führte Bischof Udu aus, wie die christliche Minderheit in Syrien ganz selbstverständlich ihren Platz habe und erläuterte mit zahlreichen Beispielen das funktionierende Zusammenleben nicht nur auf offizieller Ebene wie bei gegenseitigen Besuchen zu den Feiertagen, sondern auch im Alltag der Menschen unterschiedlichen Glaubens. Ca. 10 % beträgt der Anteil der christlichen Bevölkerung. Bis heute sind ganze Stadteile in Damaskus und Aleppo mit ihren Kirchen und sonstiger Infrastruktur christlich geprägt. Kirchenglocken und die Stimme des Muezzins mischen sich miteinander.

Großmufti Hassoun bekräftigte die Aussagen seines Vorredners und illustrierte die enge und historisch gewachsene Verbundenheit zwischen Christen und Muslimen in Syrien mit etlichen Anekdoten. Besonders aussagekräftig erscheint, wie in Zeiten, als es noch keine künstliche Babymilch gab, Milchgeschwisterschaft muslimischer zu christlichen Kindern entstand. Der kleine Bub oder das kleine Mädchen hatte dann nicht nur eine leibliche Mutter, sondern auch eine Milchmutter, zu der und deren Familie auch später ein enger Kontakt erhalten blieb.

Großmufti Hassoun: "Im Mittelpunkt der Mensch" - ein religöser Auftrag zum verantwortungsvollen Handeln für das Gemeinwohl

In seinem Vortrag ging Großmufti Hassoun auf die Essenz alles Religiösen ein. Er kündigte an, von den "drei Büchern" sprechen zu werden. Damit waren freilich nicht die zentralen Schriften der drei abrahamitischen Religionen gemeint. Sein Bild von "drei Büchern" umfasst nur als erstes gemeinsam die drei Schriften Thora, Evangelium und Koran. Als zweites Buch bezeichnete er die Natur und den Kosmos als sichtbare Zeichen der Schöpferkraft Gottes. Als drittes und bei weitem wichtigstes Buch nannte er den Mensch an sich und reflektierte über die Vielfalt, ablesbar an den individuellen Wegen der Menschen und doch dem Kern des höchsten Werts dieses menschlichen Lebens an sich. Daran anknüpfend beschrieb er den Schlüssel zum Paradies als in der eigenen Handlung begründet. Nicht das fromme, aber womöglich zuwenig verinnerlichte und vor allem mangelhaft in die Praxis übersetzte bloße Lesen der heiligen Schriften führe zum Ziel, sondern das konkrete eigene Schaffen.

Die von Gott gewollte Vielfalt schilderte er in den verschiedenen Wegen begründet, die die Religionen bildeten. Gleichzeitig betonte er den Gedanken der Einheit, da schließlich alles auf Gott zurückginge. Gott habe eine einzige Religion geoffenbart, es gäbe aber verschiedene Wege, die in den unterschiedlichen religiösen Ausprägungen liege. Im Mittelpunkt stehe aber immer der Mensch, er sei von einer Bedeutung, die weder mit den heiligen Schriften, noch sakralen Gebäuden vergleichbar sei. Damit zeichnete er die mit Beispielen erhellte Vision eines globalen Zusammenlebens in gegenseitigem Respekt, Frieden und Gerechtigkeit.

Der Großmufti wusste sein Publikum vor allem durch seinen rhetorisch brillanten freien Vortrag zu fesseln, in den er außer Koranzitaten auch Verse der arabischen Poesie einflocht. Die melodiöse arabische Sprache wurde abschnittsweise durch DI Mouddar Khouja ins Deutsche übersetzt, der auch maßgeblich die Organisation der Veranstaltung übernommen hatte.

Situation der Christen im Irak und in Palästina

Im von Tarafa Baghajati moderierten Diskussionsteil kam die erste Frage von Frau Mag. de Simony, Medienreferentin der Organisation "Pro Oriente". Sie wollte wissen, warum das Zusammenleben in Syrien offensichtlich so gut funktioniere und gleichzeitig sich im Irak Entsetzliches abspiele, vor kurzem in Mossul Tod und Vertreibung von Christen stattgefunden habe. Außerdem interessierte sie sich für die Möglichkeiten der Einflussnahme durch eine "moderate" Persönlichkeit wie den Großmufti. Beide Referierenden stimmten in ihrer Einschätzung darin überein, dass die Ursache der traurigen Verhältnisse im Irak in Krieg und Besatzung lägen. Die US-amerikanische Intervention sei letztlich verantwortlich für die Situation. Denn etwas Derartiges sei in der ganzen langen Geschichte des Irak nie vorgekommen. Die Verrohung der Sitten und Zustände treffe als  Phänomen Angehörige aller Religionsbekenntnisse, wie die erpresserischen Entführungen und sonstiger Druck gegen alle Teile der Bevölkerung zeige. Der Großmufti erinnerte auch an die Zustände in Bethlehem, wo von einst zehntausenden Christen nur noch viertausend übrig geblieben seien. Hier kritisierte er , was er als "israelische Vertreibungspolitik" beschrieb, sei sie gegen Christen oder Muslime gerichtet, scharf. Gleichzeitig gab er in Richtung Europas zu bedenken, dass Auswanderungswellen speziell von Christen der Region diese in ihrer religiösen Vielfalt verarmen lasse und bekannte sich zum Wunsch, dass Menschen im Orient weiterhin, ob sie nun ethnisch verschiedener Wurzel seien, etwa kurdisch oder armenisch, oder unterschiedlichen Glaubensbekenntnisses, möglichst friedlich und harmonisch zusammenleben sollten.

Als Initiativen des auch innermuslimischen Dialogs und der Konsultationen nannte der Großmufti regelmäßige Treffen mit hochrangigen Kollegen anderer Länder.

Kopftuchfrage: Selbstbestimmungsrecht der Frau

Andere Einwürfe aus dem Publikum gaben Anlass bisher Ausgeführtes weiter zu vertiefen. Als Antwort auf die Frage, was der Großmufti einer jungen Frau in Bezug auf das Kopftuchtragen raten würde, die aus Syrien nach Europa ginge, sprach Dr. Hassoun vom prinzipiellen Selbstbestimmungsrecht. So wie er schon zuvor unter Bezug auf den Vers: "Es gibt keinen Zwang in der Religion" Druck auf die individuelle Glaubenspraxis, etwa das Einhalten des Gebets, abgelehnt hatte, so äußerte er sich auch hier in diesem Sinne. Dies sei eine Angelegenheit, die jede junge Frau vor allem mit sich selbst ausmache. Gleichzeitig plädierte der Großmufti für eine offene Haltung, die die Sichtbarkeit religiöser Zeichen, sei es Nonnenhabit oder das islamische Kopftuch, nicht zum Gegenstand staatlicher Restriktionen oder gesellschaftlicher Ressentiments machen solle. Hier erwähnte er Frankreich und meinte, dass Laizismus nicht in Religionsfeindlichkeit umschlagen dürfe.

"Muftia" für Syrien geplant - weibliche Theologinnen in höchster Position 

 

Einer Frauenfrage ging auch das Thema des Status der Frauenpartizipation in Syrien nach. Hier überraschte der Großmufti viele Zuhörer positiv mit der Aussage, dass bereits seit zwei Jahren intensive Vorbereitungen liefen, um auch die Position einer "Muftia", einem weiblichen Mufti, zu ermöglichen. Er bekräftigte, dass Männer und Frauen partnerschaftlich zusammenarbeiten sollten, da sie gleichermaßen Anteil am Funktionieren der Gesellschaft hätten.

Carla Amina Baghajati

 

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