Muslimin sein: Buchrezension aus Deutschland
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„Muslimin sein“ – selbstbestimmt, frei und religiös
Amina Carla Baghajati, Medien- und Frauenreferentin der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) sowie Lehrbeauftragte an der Islamischen Religionspädagogischen Akademie (IRPA) in Wien, hat sich an die schwierige Herausforderung gewagt, ein vermittelndes Buch für Muslime und Nicht-Muslime zu schreiben. Dieses soll mit falschen Vorstellungen, über den Islam und muslimische Frauen, aufräumen. Mit „Muslimin sein“ versucht Baghajati auf eine ganz persönliche Weise den Dialog zwischen Muslimen wie Nicht-Muslimen zu fördern.
„Schon wieder so ein Buch“, war mein erster Gedanke nach dem Ende des ersten Kapitels von „Muslimin sein“. Mit feministischer Literatur, die aus der Feder von Musliminnen stammt, kann ich nämlich nichts Vernünftiges anfangen. Dies liegt – neben meiner prägenden Erziehung und universitären Bildung – mitunter an einer gewissen Erfahrung mit Autorinnen, die solche Literatur auf den Markt bringen: Sie vertreten oft nichts spezifisch Feministisches. Es wird nur so verpackt, als wäre es feministisch.
Muslimische Feministinnen sind zudem, der Erfahrung nach, oft (nicht immer) Kopien echter feministischer Vorbilder. Und bei diesen – ohnehin schon tragischen Figuren – ist der Wunsch nach „Selbstbestimmung“ dem einfachen „Mitläufertum“ gewichen. Eigene Positionen werden in den Debatten nicht vertreten – es wird nur das postuliert, was man irgendwo gehört oder gelesen hat und was der Mehrheitsgesellschaft nach Möglichkeit gefällt. Deshalb kann ich diese Pseudo-Feministinnen auch meist gar nicht leiden – weil sie eben kein Original sondern ein enttäuschender Abklatsch sind.
Positive Überraschung – Muslimin mit Profil
Die Enttäuschung blieb bei Baghajati und „Muslimin sein“ allerdings aus. Ja, sie geht Themen an, über die man schon vielfach diskutiert und gesprochen hat – doch sie tut dies mit dem Blickwinkel und den Augen einer aufgeklärten und emanzipierten Frau, die sich auch nicht davor scheut kontroverse Themen anzusprechen oder sogar kontroverse (islamische/muslimische) Positionen einzunehmen. In der Sache verteidigt Baghajati das vorbehaltlose Selbstbestimmungsrecht der Frau in allen Bereichen der Gesellschaft – mit Einblick in persönliche Episoden aus dem eigenen Leben und der Arbeit im interreligiösen Dialog für die IGGiÖ.
Baghajati gibt mit ihrer eigenen Geschichte dem Buch ein ganz anderes Profil, als man es eigentlich erwartet hätte. So berichtet sie über ihre eigenen Erfahrungen als „Konvertitin“, die mit jungen Jahren zum Islam fand und auch mit dem Islam gegenüber ihrer eigenen Mutter rebellierte. Mit Blick auf ihre persönlichen Erfahrungen gibt sie auch sehr wichtige Impulse für aktuelle Debatten: „Frisch Konvertierte brauchen dringend Menschen um sich, die sie behutsam begleiten und davon abhalten, sich in irgendwelche Engstirnigkeiten zu verrennen. Dieses Thema ist angesichts aktueller Fragen der Radikalisierung von besonderer Brisanz.“ (S. 13).
Musliminnen können emanzipiert und gläubig sein
Mit solchen Hinweisen hebt sie sich auch von vielsagenden Titeln anderer Autorinnen ab, die suggerieren man sei liberal, aufgeschlossen oder feministisch. Denn anders als der Titel vermuten lässt, ist das Buch „Muslimin sein“ eine Antwort für alle Musliminnen, die gläubig und emanzipiert sein wollen. Dabei werden aber auch ganz klar Missstände in der muslimischen Community in Bezug auf Frauen offen angesprochen: „Die islamische Theologie kann sich nicht davor drücken, eine kritische Sichtung gewisser Auslegungen vorzunehmen, die Frauen in starre Rollenbilder zwängen oder gar Menschenrechtsverletzungen Vorschub leisten.“ (S. 16)
Die im Buch vorgestellten Fragen sind insofern wie ein großer Pool an Informationen, Hintergründen und Forderungen für die Zukunft zu begreifen. Und die Antworten auf die Fragen interessieren nicht nur Muslime, sondern auch Nicht-Muslime. Baghajati hat quasi alle wichtigen Themen der Islam-Debatten der vergangenen Jahrzehnte in ihrem Buch aufgenommen und ist sie alle Schritt für Schritt angegangen. Dabei überraschten einige Ansichten besonders – weil sie auch einem männlichem Leser die Augen öffnen können.
Kritik für manche Thesen ist vorprogrammiert
Egal ob es um Gottesdienste, um Rollenbilder, um das Zusammenleben, um Ehe und Familie oder falsch verstandene Ehrbegriffe geht: Baghajati durchleuchtet die Themen der Islam-Debatten und liefert eine muslimische Sichtweise, mit der sich viele Menschen – insbesondere Frauen – identifizieren können. Nicht zuletzt kommen solche Sichtweisen jedoch leider kaum in den aktuellen Debatten zu Wort. Dabei wäre es wichtig, solche Stimmen in den aktuellen Diskursen stärker wahrzunehmen.
Das Buch wirkt stellenweise jedoch auch sehr langatmig. Das tut dem Lesefluss und den gelieferten Informationen zu den Themenfeldern keinen Abbruch. Im Gegenteil: Baghajati nimmt sich die nötige Zeit und die nötigen Zeilen, um aus allen Facetten heraus ein Thema zu durchleuchten. Dabei bedient sie sich auch „moderner“ und teilweise auch umstrittener Methoden (feministische Lesarten, Maqasid-Theorien, Hadith-Exegese anhand des Matn). Ihre Schlüsse sind aber – wenn auch nicht immer aus Mainstream-Sicht akzeptabel – nachvollziehbar. Dennoch dürften so manche kolportierten Forderungen und Meinungen zu scharfer Kritik führen – obwohl sich die Autorin sehr deutlich nicht zur Alles- oder Besser-Wisserin erhebt und vielmehr für die Vielfalt der Meinungen in den Debatten plädiert.
Islam ist von Vielfalt geprägt
Baghajati macht deutlich, welche vielfältigen Interpretationen bei islamischen Themen existieren und wie ihre persönlichen Ansichten dabei liegen. So ist das im Buch angesprochene auch nicht immer abschließend beantwortet und schon gar nicht endgültig. Es ist vielmehr so, dass „Muslimin sein“ ein Anstoß zu einer neuen Debatte sein soll. Es ist ein Versuch durch offene Antworten den kritischen Dialog – interreligiös wie innermuslimisch – neu zu beleben.
Gerade deshalb wird dieses Buch allen Musliminnen ans Herz gelegt, damit sie einmal über ihr Rollenbild als Muslimin in der Gesellschaft noch einmal nachdenken. Es wird allen Muslimen ans Herz gelegt, um auch mal aus der Perspektive einer Frau die Dinge zu betrachten und so vielleicht ein Gefühl der Empathie zu gewinnen. Und es wird Nicht-Muslimen ans Herz gelegt, weil selten eine Autorin so gut und faktenreich mit gängigen Klischees und Vorurteilen über Muslime und Musliminnen aufgeräumt hat.
Titel: „Muslimin sein“
Autorin: Amina Carla Baghajati
Verlag: Tyrolia
Seiten: 224
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