Das alte Europa und eine neue Religion
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Replik auf „Vormodern trifft auf Postmodern“, Leitartikel, von Michael Fleischhacker, 24. September.
Auf einem Empfang in Dubai beschrieb die Frau eines Diplomaten, die von Tokio berufsbedingt ihren Wohnort wechselte, den Unterschied so: Es hat sich nicht wirklich viel geändert. In beiden Städten ist es heiß mit hoher Luftfeuchtigkeit. Japanisch und Arabisch ist schwer zu erlernen, Frauen haben nicht viel zu melden.
Nun ist es leider Fakt, dass oft die Gleichstellung der Geschlechter noch einen langen Weg vor sich hat. Selten habe ich jedoch erlebt, dass man beim Treffen mit japanischen Künstlern, Politikern diesen Zustand ansprach. Anders ist die Situation mit dem Islam oder den Muslimen. Kaum ein Artikel oder eine politische Aussage von Journalisten oder Politikern, die nicht damit schließen muss, dass sich die Muslime an den Rechtsstaat, die Demokratie und Menschenrechte zu halten haben. Dass die Gleichberechtigung von Mann und Frau zu akzeptieren ist und der weiblichen Genitalverstümmelung, Zwangsheirat und Ehrenmorden abgeschworen werden muss.
Diese Aussagen kommen sowohl von Gegnern als auch von Wohlgesinnten. Ist das nicht selbstverständlich, dass all diese Forderungen einzuhalten sind? Leben wir nicht in einem säkularen Rechtsstaat, wo alle Bürgerinnen und Bürger gleich vor dem Gesetz stehen? Muslime stehen doch nicht über dem Gesetz und auch nicht außerhalb des Gesetzes. Warum muss man diese gebetsmühlenartig vorgetragene Litanei ständig wiederholen? So suggeriert man doch, dass der Islam und die Muslime diese Werte nicht kennen und akzeptieren.
Wenn Michael Fleischhacker fordert, dass der Staat mit Hilfe der Exekutive einschreiten muss, um Rechte für Frauen gegen physische und andere Formen der Unterdrückung zu verhindern, genauso wie es bei einem Österreicher der Fall ist, tappt er da nicht in die Falle, dass Muslime keine Österreicher sind? Sind wir da nicht schon in der Nähe von „Islam ist gleich fremd“? Womöglich „artfremd“? Natürlich ist es auch legitim, erfahren zu wollen, wie die Muslime Österreichs zu all diesen Themen stehen.
Enttäuschend für uns ist, dass unsere Einstellungen trotz viel Arbeit nicht wahrgenommen werden. Ein Blick auf die Homepage der IGGiÖ hätte gezeigt, dass die Muslime durch Organisation von drei Imame-Konferenzen, zwei davon auf europäischer Ebene, klar Stellung bezogen haben. Dabei stand das Bekenntnis zu Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Menschenrechten und Pluralismus im Zentrum. Wege der Integration wurden skizziert, und eine deutliche Absage an Terror, Gewalt, Rassismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit erfolgte unmissverständlich. Auch das Engagement gegen Genitalverstümmelung bei Frauen, Zwangsehe, Ehrenmorde, familiäre Gewalt war groß, und es wurde klar verurteilt und als unislamisch bezeichnet. Wieso all diese Arbeit nicht registriert und die Führung der IGGiÖ in einer Art „defensiven Rolle verharrt“ wahrgenommen wird, ist ein Rätsel.
Muslime müssen offensiv agieren
Ja, wir Muslime sind es der Gesellschaft schuldig, Stellung zu beziehen und offensiv zu agieren. Und die allgemeinen Bürgerrechte wie Religionsfreiheit, Gleichheitsgrundsatz und die Europäische Menschenrechtskonvention müssen für uns gleichermaßen ohne Wenn und Aber gelten. Der Jurist Murad Hofmann ordnet die Kopftuchfrage als ein Politikum ein, weniger als Rechtsfrage. Es ginge darum, ob das alte Europa eine neue Religion und das Anderssein ihrer Anhänger zu tolerieren bereit sei oder den Islam aus dem Bekenntnis zu religiöser Toleranz ausklammern möchte.
Niemand, auch kein Gericht – und schon gar keine Behörde – sollte sich anmaßen, für eine Muslima zu entscheiden, ob sie ihr Kopftuch tragen muss; denn das wäre bereits eine Verletzung des Grundrechtes auf Religionsfreiheit. Die Religion einer Einzelperson wäre ja auch dann zu respektieren, wenn es ihre Privatreligion wäre.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2007)
Dipl.-Ing. Omar Al-Rawi
Ist Integrationsbeauftragter der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich
Und Mitbegründer der Initiative muslimische ÖsterreicherInnen