Juden und Muslime: 60 Jahre Entfremdung
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Es wäre an der Zeit, dass Juden und Muslime an ihre positive Geschichte wieder anzuknüpfen beginnen
Spätestens seit der zweiten Intifada im Herbst 2000 ist der Hauptfeind Israels in den besetzten Gebieten die national-religiöse Hamas. Den zweiten Libanonkrieg 2006 führte Israel gegen die islamisch schiitische Hizbullah, die im Jahr 2000 den Abzug der israelischen Truppen aus dem Südlibanon erzwungen hatte. Und in jüngster Zeit hat Israel erstmals einen nichtarabischen Staat zum Hauptfeind gekürt, die islamische Republik Iran.
Der erste Palästinenseraufstand 1987 bis 1991 im Westjordanland und Gazastreifen stand noch unter der Führung linksnationalistischer Gruppen, der erste Libanonkrieg ab 1982 wurde hauptsächlich noch gegen die PLO und die prosyrische Amal geführt und bis in die 70er Jahre hinein war das sozialistische Ägypten Israels größter Feindesstaat, später dann die von säkularen Bathregimen geführten Länder Syrien und Irak.
Es ist offensichtlich, der Untergang der Sowjetunion und der unaufhaltsame Niedergang des linken Panarabismus führte auf arabischer Seite zu einer Islamisierung des Konfliktes. Auf der israelischen Seite der Barrikade geht diese Entwicklung einher mit einem Niedergang des an der Arbeiterbewegung orientierten aschkenasischen Zionismus. Dieser hat die Besiedelung und Eroberung Palästinas zwar auch mit einem national-religiösem Narrativ aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert legitimiert, das da besagt, es gäbe eine ungebrochene 2000jährige Stammesgeschichte einer jüdischen Ethnie, die die einzig wahre Besitzerin des Landes ist. Doch die nun erstarkende religiöse Rechte und der an Kraft gewinnende politische Messianismus führen diesen religiösen Diskurs bis ins Extrem.
Ein ahistorischer Blick auf den Konflikt läßt einen heute daher rasch zu dem Trugschluß kommen, daß es sich hierbei um einen Religionskrieg handelt, um einen Kampf zwischen Juden und Muslimen. Dieser Gedanke hat an Attraktivität gewonnen, seitdem in der internationalen Politik der „Kalte Krieg“ von der These vom „Kampf der Kulturen“ abgelöst worden ist. In den „clash of civilizations“ läßt sich ein jüdisch-muslimischer Krieg nämlich wunderbar einordnen.
Tatsächlich hat sich die Auseinandersetzung um Israel-Palästina keineswegs verändert. Es handelt sich nach wie vor um einen nationalen politischen Konflikt um Land und Wohnrecht, um einen der letzten Kolonialkonflikte der Weltgeschichte. Die Interessen und Forderungen der Konfliktparteien sind unverändert, lediglich die religiöse Rhetorik ist relativ neu. Dieses Jahr wird, je nach Sichtweise, an 60 Jahre Medinat Israel bzw. an 60 Jahre Nakba gedacht. Dieses Gedenkjahr sollte aber auch dazu genützt werden, um sich in Erinnerung zu rufen, dass das Verhältnis der ältesten und der jüngsten der drei monotheistischen Religionen über viele Jahrhunderte lang sehr gut war. Erinnert sei an dieser Stelle exemplarisch an die muslimisch-jüdische Herrschaft über Spanien, an die vielen jüdischen Minister der Khalifen bis zur Herrschaft von König Ghazi im Irak und der Regierung von Saad Zaglool in Ägypten oder an das gute Zusammenleben, wie es die Kairoer Geniza belegt, der Fund von 200.000 jüdischen Manuskripten in einer Synagoge des 11. Jahrhunderts.
Um den Kulturkämpfern auf beiden Seiten den Wind aus den Segeln zu nehmen, muss auch hervor gestrichen werden, dass es kaum eine religiöse Feindschaft zwischen Juden und Muslimen geben kann. Judentum und Islam sind theologisch einander viel näher als jeweils zum Christentum. Der Islam hat niemals das Judentum zum „Feind Gottes“ weil „Mörder Gottes“ erklärt. Der Koran hält hingegen zeitlos fest: „Und unter Moses Volk gibt es Leute, welche zu der Wahrheit leiten und ihr gemäß gerecht handeln.“ [7:159] Heute oftmals als antijüdisch interpretierte Passagen des Korans beziehen sich nicht auf theologische Grundsätze oder gar auf alle Menschen jüdischen Glaubens, sondern ausschließlich auf die Politik bestimmter jüdischer Gruppen zur Zeit des Propheten.
Es wäre an der Zeit, dass Juden und Muslime an ihre positive Geschichte wieder anzuknüpfen beginnen. Insbesondere die jüdischen und muslimischen Gemeinden Europas könnten hier Pionierarbeit leisten. Als religiöse Minderheiten sind sie oftmals mit ähnlichen Problemen konfrontiert. Es bleibt umstritten, ob es möglich ist Antisemitismus und Islamfeindlichkeit miteinander zu vergleichen. Fakt ist allerdings, dass Parallelitäten unverkennbar sind und dass beide Gruppen mitunter rassistischen Ausgrenzungen ausgesetzt sind. Der lange Schatten des Nahostkonfliktes und die sich selbst erfüllende These vom Kulturkampf hat eine Situation geschaffen, die nahelegt, dass man nur entweder gegen Antisemitismus oder gegen Islamfeindlichkeit sein kann, nicht gegen beides zugleich. Es muss den Communities gelingen, sich dieser unsinnigen Dynamik zu entziehen. Hier können gerade Österreichs Juden und Muslime richtungweisend werden.
Bei alldem darf sich Europa nicht saturiert zurücklehnen und dabei zusehen, wie sich „die Muslime und die Juden die Köpfe einschlagen“. Denn die Ursache für dieses Missverhältnis liegt auch in der christlich-europäischen Politik und Geschichte. (derStandard.at, 26.10.2010)
Tarafa Baghajati, (Wien, Mai 2008 / publiziert Jänner 2010 in derstandard.at)
Tarafa Baghajati
ist Obmann der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen,
Vorstandsmitglied “Platform for Intercultural Europe PIE” und
Mitglied des Ehrenbeirats des European Network against Racism (ENAR)