"Multikulti" ist nicht tot
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Wie VP und SP am "Ausländerthema" vorbeiargumentieren – eine Replik von Tarafa Baghajati
"Multikulti" hat sich neben dem Terminus "Gutmensch" als Diffamierung etabliert, die Leute, die offen für Pluralität und Vielfalt in der Gesellschaft eintreten und diese auch als Bereicherung ansehen und leben, in ein zumindest völlig weltfremdes Eck stellt.
Mir san mir
So können die Gastkommentare des Bundesministers für Wissenschaft, Johannes Hahn, und von Karl Newole ("Gegen rechte Hetzer und linke Träumer", Standard, 2. 8.) nicht unkommentiert stehen bleiben, um Tendenzen des "mir san mir" entgegenzuwirken. Auch die Wiener Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger von der SPÖ schien nicht ganz gefeit und schlug in die gleiche Kerbe, indem sie Multikulti für tot erklärte, eine unglückliche Formulierung, die nach Korrektur verlangt. Es ist nicht primär eine Frage der Begrifflichkeit, sondern eine Frage der dahinter stehenden Geisteshaltung, die gerade im Jahr des interkulturellen Dialogs Aufmerksamkeit verdient.
Beide Gastkommentare zielen darauf, die Kulturdiskussion als eine Angelegenheit unter dem Aspekt Zuwanderer hier, Einheimische dort abzuhandeln. Hier liegt ein gewaltiger Haken. Die österreichische Gesellschaft ist längst multikulturell, ob es sich nun um Alltagskultur wie Kulinarisches, Kleidung und Lifestyle handelt oder Kunst in allen Facetten betrifft. Ja, sie war es auch vor den modernen Migrationsbewegungen, wobei nicht nur an die Zeit als Vielvölkerstaat erinnert sei, sondern an den großen regionalen Reichtum unterschiedlichster kultureller Ausprägungen.
Der Hut brennt
Kindergärten, Schulen, Universitäten und Betriebe sind multiethnisch, multireligiös und multikulturell. Wenn Bundesminister Hahn gesellschaftliche Probleme wie Gewalt in der Familie und mangelnde Chancengleichheit für Frauen fast völlig ausblendet und stattdessen bei Minderheiten Zum Autor: Tarafa Baghajati ist Mitgründer der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen nach "kulturellen Rückschritten" sucht, dann brennt der Hut. Das ministerielle Tandem Hahn - Fekter zeigt in seinem durch den Anspruch der Intellektualität verbrämten Populismus unübersehbare Kompetenzschwäche und agiert damit auch wahltaktisch unklug.
Minister Hahn sieht "Zwangsbeschneidung" als kulturellen Rückschritt, vorhanden in "kulturell definierten Räumen, in denen es religiös oder kulturell legitimiert ist, Frauen schlechter zu behandeln als Männer". Ein Mindestmaß an Recherche, auch innerhalb der ÖVP, hätte ergeben, dass in Österreich lebende kulturelle Gemeinschaften, seien sie muslimisch, christlich oder ethnisch definiert, nicht nur Zwangsbeschneidung ablehnen, sondern jegliche weibliche Genitalverstümmelung, egal ob unter Zwang oder freiwillig.
Wahlkampfzünder
Dagegen wurde auch mit Unterstützung von ÖVP-Frauen vieles geleistet. Statt dass man versucht, die vorhandenen Initiativen zu fördern, wird das Thema als Wahlkampfzünder verwendet. Mit der Forderung eines Kopftuchverbots im öffentlichen Dienst geht Hahn weiter als Innenministerin Fekter, die derartiges nicht gutheißt. Auch hier ist die "rechte Hetze", gegen die sich verbal abzugrenzen BM Hahn so bemüht ist, in Sichtweite. Während ÖVP-Staatssekretärin Marek junge muslimische Frauen in diversen Projekten (Beispiele: Fatima und MIA) glaubwürdig unterstützt und sich öffentlich in Veranstaltungen gegen jegliche Kopftuchverbote ausspricht, schon allein weil sie den vorhandenen Antidiskriminierungsgesetzen widersprechen würden, kommt Johannes Hahn mit Forderungen, die in diesem Wahlkampf sowohl FPÖ als auch BZÖ in den Schatten stellen.
Sich als EU-Partei zu präsentieren und zugleich im EU-Jahr des interkulturellen Dialogs solchen Populismus zu verbreiten, ist bedauerlich und mehr als bedenklich. Ob sich diese Doppelstrategie der ÖVP auszahlt, wird spätestens der 28. September zeigen. Doch ist davon auszugehen, dass die konsequente Verwirrung der Wähler in dieser Frage teuer bezahlt wird. In diesem Fall wird die ÖVP ab dem 29. September eine neue und ehrliche Linie definieren und einschlagen müssen. Die Verantwortung für eine drohende Wahlniederlage würde in diesem Fall im Bereich der Minister Hahn und Fekter und Generalsekretär Missethons liegen.(DER STANDARD Printausgabe, 5.9.2008)
Zum Autor: Tarafa Baghajati ist Mitgründer der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen
Foto: Sprachkurs in Wien: Multikulti wird von Politikern totgesagt, von anderen Menschen am Leben erhalten.